Kurzbeschreibung des Stör-Projektes (I und II)
Problem
Lage des Projektgebietes
Forschungsansatz des Stör-Projektes
Der Forschungsansatz leitet sich aus dem Energie-Transport-Reaktionsmodell (ETR-Modell) ab. Dieses versucht, ökologische Systeme und damit die Landschaft funktional zu verstehen. Es ist ein auf den Wasserhaushalt und Energieumsatz reduziertes, konzeptionelles Denkmodell, das alle wesentlichen Prozesse in Raum und Zeit betrachtet und funktional verknüpft. Die Herangehensweise ist deduktiv und heuristisch.
Bei der ungestörten Entwicklung eines Ökosystems werden die Wasser- und Stoffkreisläufe immer kurzgeschlossener. Der Wasserhaushalt wird durch den Aufbau wasserspeichernder Strukturen (z.B. Streuschicht oder Torf) ausgeglichener. Die Feuchtigkeit des Oberbodens steigt an, die vegetationsgesteuerte Prozeßrückkopplung nimmt zu. Die Nachhaltigkeit, gemessen am Wirkungsgrad als Verhältnis von Stoffumsatz zu Stoffverlust des Systems, wird im Laufe der Entwicklung immer weiter erhöht. Diese Entwicklung wird in nichtlinearer Weise durch die zur Neige gehenden Stoffvorräte begrenzt. Größere Störpulse (z.B. hohe anthropogen verursachte Energieflußdichten durch Entwässerung) werfen das System in einen früheren Zustand zurück. Von diesem beginnt die Optimierung der Nachhaltigkeit dann erneut, sofern die Störpulse in ihrer Frequenz abnehmen. Die Nachhaltigkeit bzw. der Wirkungsgrad eines Ökosystems ist neben dem biologischen Stoffumsatz und den Verlusten auch über die Kühlfunktion der Landschaft ableitbar.
Das Projekt geht von folgender, aus dem ETR-Modell abgeleiteten, Hypothese für die hohen Stoffverluste aus:
Wird das Niederschlagswasser in der Landschaft nicht größtenteils über kurzgeschlossene Verdunstungs-Kondensationsprozesse oder oberflächennahen Abfluß transportiert, sondern versickert in den Boden, werden mineralisierte Stoffe gelöst. Es treten chemische Lösungs- und Fällungsreaktionen auf, die mit dem fließenden Wasser zu gerichteten Stofftransporten führen. Erreichen die Nährstoffe und Basen über die Fließgewässer das Meer, sind sie für die Landschaft und die Vegetation verloren (Verlustprozeß). Das Ausmaß des Mineralisationsprozesses im Boden hängt in starkem Maß von der räumlichen und zeitlichen Verteilung der wechselfeuchten Phasen (Schwanken des Bodenwasserspiegels) und der Bodentemperatur ab. Die Schwankungen des Bodenwasserspiegels und der Temperatur werden in einem entwickelten Ökosystem weitgehend von der Vegetation und der von ihr durchwurzelten Bodenschicht bestimmt. Die Kopplung zwischen Mineralisations- und Stoffaufnahmeprozeß durch die Vegetation als steuerndem "Prozessor" des Ökosystems ist heute stark herabgesetzt, bedingt durch die Veränderung des Wasserhaushaltes sowie der Nutzungsverteilung. Vor allem Eingriffe in die Vegetation und den Boden, wie z.B. Entwässerungen, führen zu einer nicht an die Vegetationsentwicklung rückgekoppelten, erhöhten Mineralisation von organischer Substanz. Es bilden sich starke Säuren, die durch die Basen gepuffert werden und so zu deren zunehmender Auswaschung aus dem durchwurzelbaren Oberboden in tiefere Schichten bzw. in die Gewässer führen. Ist der Standort bereits weitgehend an Basen verarmt, werden die Säuren aufgrund des gerichteten Wasserflusses an anderer, unterhalb liegender Stelle gepuffert und erhöhen dort die Basenverluste.
Durch diese Prozesse wird die Nachhaltigkeit der Landschaft bzw. deren Wirkungsgrad stark herabgesetzt.
Ziele des Forschungsprojektes
Die aus dem ETR-Modell abgeleiteten Arbeitshypothesen sollten überprüft und die bestimmenden Prozesse für den Stoffaustrag in ihrer regionalen Verteilung ermittelt werden. Daraus sollte ein Instrument entwickelt werden, das den raum-zeitlichen Handlungsbedarf aufzeigt, um ein richtungssicheres Handeln zur Steigerung der Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Dazu notwendige Maßnahmen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen sollten dargestellt werden.
Datenerfassung
Die wichtigsten erhobenen bzw. herangezogenen Daten sind:
- Abflüsse an 37 Meßpunkten (14 Landespegel, 23 projekteigene Sonden),
- monatliche Wasserprobennahmen zur chemischen Analyse der Wasserbeschaffenheit in den Gewässern 128 Meßpunkten,
- kontinuierliche Leitfähigkeitsmessungen an 10 Meßpunkten (ab März 1994),
- Niederschlagsmengen an 14 Meßstationen des Deutschen Wetterdienstes,
- Erfassung der monatlichen Niederschläge und ihrer chemischen Beschaffenheit an einem vom Projekt betreuten Meßpunkt,
- Bodenwasserganglinien an 30 Meßpunkten (projekteigene Sonden),
- Verteilung der vom Satelliten gemessenen Oberflächentempertur zu vier unterschiedlichen Zeitpunkten,
- Temperaturganglinien an 8 Meßpunkten (projekteigene Sonden) in 10 cm Bodentiefe, an der Bodenoberfläche, in 10 cm Höhe und in 2 m Höhe (ab Juni 1994),
- Flächennutzung (über TK 25 und Auswertung einer Satellitenszene),
- Lysimeterversuche im Labor und
- Makrophytenuntersuchungen in den Fließgewässern.
Zentrale Ergebnisse
Die Austräge an gelösten Salzen sind erheblich größer als die über Düngung und Niederschlag eingetragenen Mengen. Lysimeterversuche im Labor bestätigten den Einfluß der wechselfeuchten Phasen auf den Mineralisationsprozeß. Der Abfluß und nicht die Konzentration ist in der Regel die frachtbestimmende Größe. Die Morphologie der Gewässer und deren pflanzliche Ausstattung ist nicht in der Lage, die heutigen eingetragenen Stofffrachten zurückzuhalten bzw. umzusetzten. Die Stoffretention muß daher an Land erfolgen. Aus diesem Grund sind die sektoriellen Grenzen der Forschung und Bewirtschaftung durch neue Konzepte zu überwinden.
Neben der Notwendigkeit, die Landschaft insgesamt wieder mit mehr dauerhafter Biomasse auszustatten, wurden folgende allgemeine Bewirtschaftungsmaßnahmen abgeleitet:
- Kuppenlagen - sie sind besonders von der Auswaschung betroffen - sollten nicht oder nur extensiv bewirtschaftet werden.
- In Quellbereichen und an Zusammenflüssen von Gewässern sollten sich wieder die ursprünglich vorhandenen Feuchtgebiete entwickeln können. Das Wasser bleibt länger in der Landschaft, die wechselfeuchte Zone wird geringer. Der Wasserfluß ist gleichmäßiger. Der für die Ökologie entscheidende Basisabfluß in der Niedrigwasserperiode wird angehoben.
- Große Feuchtgebiete (Röhrichte oder Feuchtwälder) sollten als bewirtschaftete Stoffrückhalteflächen eingerichtet werden, in denen das aus der Landschaft abfließende Oberflächen- und Schichtenwasser durch Verdunstung verlangsamt wird. Durch Rückführung der gewonnen Basen und Nährstoffe in die höher gelegenen Flächen schließt sich der Stoffkreislauf.
- Organische Abfälle und Abwasser sind nach einer entsprechenden Aufbereitung in die Landschaft zurückzuführen, um den Stoffkreislauf kurzgeschlossen zu halten und die Verluste zu minimieren.
Durch solche, räumlich und zeitlich festzulegende Maßnahmen soll die Nachhaltigkeit der Landschaft erhöht werden: In einer Landschaft mit besserem Temperaturausgleich durch Verdunstung sinken die Stoffverluste, der Abfluß erfolgt gleichmäßiger und die Anzahl von Hochwasserereignissen verringert sich. Die Lebensgemeinschaften der Fließgewässer haben wieder die Möglichkeit, sich zu hochvergesellschafteten Strukturen zu optimieren, wodurch die Gewässer wieder ihren natürlichen Charakter zurück erhalten.
Über ein Geographisches Informationssystem (GIS) wurden Vorranggebiete ausgewiesen, die entweder sehr empfindlich auf den Auswaschungsprozeß reagieren oder deren Umgestaltung einen hohen Stoffrückhalt und damit eine hohe Maßnahmeneffizienz erwarten lassen. Um die beschriebenen Möglichkeiten zur Verringerung der Stoffverluste operabel zu machen, wurden Planungsmodule bzw. -vorschläge in allgemeiner Form beschrieben. Diese müssen der speziellen Situation in den jeweiligen Teilgebieten angepaßt werden.
Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen bietet neben der Erhöhung der Nachhaltigkeit eine gute Richtungssicherheit vieler bestehender Ziele im Natur-, Hochwasser- und Klimaschutz.
Gesellschaftliche Lösungsstrategie
Eine Gesellschaft kann nur dann dauerhaft bestehen, wenn sie die Landschaft als physische Basis durch eine nachhaltige Bewirtschaftung erhält. Eine Umorientierung in Richtung einer stoffverlustärmeren und daher dauerhafter funktionierenden Bewirtschaftung erfordert, daß das Nachhaltigkeitsprizip auf politischer Ebene oberste Priorität bekommt. Durch den Einsatz ökonomischer Steuerungsinstrumente müssen hier die erforderlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die in ihrem Zusammenwirken zur positiven Selektion nachhaltiger Wirtschaftsweisen führen. Analog zu ökosystemaren Regelungsmechanismen werden folgende ökonomischen Steuerungselemente vorgeschlagen:
- Lineare Energiesteuer (entspricht dem zeitlich strukturierten und dadurch zeitlich limitierten Energieangebot in der Natur).
- Progressive Bodenwertsteuer (entspricht der Limitierung des Raumes bzw. des Angebotes an Nährstoffen und Basen in der Natur) unter weitestgehender steuerlicher Entlastung der Dienstleistung.
- Individueller Bodenwertfreibetrag als soziale Basis anstelle eines sozialen Netzes (entspricht der Grundausstattung eines Standortes an Nährstoffen und Basen in der Natur).
Der technisch-administrativen Ebene käme nach einer solchen Umgestaltung in erster Linie eine beratende Funktion zu, z.B. bei der Ausweisung von Vorranggebieten für die Wassergewinnung oder den Umsetzungsmaßnahmen der Abwasseraufbereitung.
Auf der Bewirtschafterebene ist den Landbewirtschaftern (Land- und Forstwirten) die Wasserwirtschaft zwingend zuzuordnen, da vielfach durch eine nicht sachgemäße Wasserwirtschaft die Stoffverluste maximiert wurden. Die Landbewirtschafter wären für die Bereitstellung des Lebensmittels Wasser in Form sauberen Oberflächenwassers mit einem über das Jahr vergleichmäßigtem Dargebot verantwortlich. Sie würden nach Menge und Güte des Wassers in den Flüssen marktgerecht bezahlt.
Nach einer Phase der (stoffverlustreichen) wirtschaftlichen Expansionsstrategie würde somit eine Umstrukturierung eingeleitet werden, bei der wirtschaftliches Wachstum an eine Wirkungsgradsteigerung (Absenken von Stoffverlusten) gebunden wäre. Dadurch könnte der heutigen Gesellschaft und nachfolgenden Generationen eine "lebenswerte Zukunft" gesichert werden, anstelle weiter auf Kosten der nächsten Generationen zu leben.
Auftraggeber
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Wasserhaushalt und Küsten Schleswig-Holstein
Wissenschaftliche Projektleitung
Prof. Dr. W. Ripl, TU Berlin, Institut für Ökologie - Fachgebiet Limnologie
Beteiligte Institutionen
Technische Universität Berlin
Limnologie, Prof. Dr. W. Ripl
Landschaftsplanung, Prof. F. Trillitzsch
Christian-Albrecht-Universität Kiel
Wasserwirtschaft und Meliorationswesen, Prof. Dr. P. Widmoser
Bodenkunde, Prof. Dr. H.-P. Blume
Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Hauptabteilung Systemanalyse Raumfahrt, Dr. R. Backhaus
Gesellschaft für Gewässerbewirtschaftung mbH (GfG) Berlin
Finanzvolumen: 3,8 Mio DM
Laufzeit: 01.11.1990 - 31.03.1995
Download des kompletten Projektberichtes als pdf-Datei (16 MB).