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B. Funktionales Leitbild
Thesen:
- 1. Die Natur ist ein dissipatives System.
- Die Natur ist ein energiedissipatives (energieflußdichtesenkendes) System. Wichtigstes energiedissipatives Element ist das Wasser, bedingt durch seine Eigenschaften von Verdunstung und Kondensation, Stofflösung und -fällung sowie Wasserspaltung und -synthese (Photosynthese/Respiration). Atmosphärische Prozesse, Bodenprozesse und biologische Prozesse werden durch die Dynamik dieses dissipativen Mediums bestimmt.
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- 2. Die Natur ist selbstoptimierend.
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- Dissipative Systeme sind bei Raumlimitierung (räumlicher bzw. stofflicher Begrenzung/Geschlossenheit) und Zeitlimitierung (bei zeitlich strukturiertem und dadurch begrenztem Energieangebot) selbstoptimierend, sie streben nach höherer Dauerhaftigkeit (Stabilität). Diese Systementwicklung ist funktional als Entwicklung in Richtung maximaler Energieflußdichteabsenkung charakterisierbar.
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- 3. Stoffverluste senken die Nachhaltigkeit natürlicher Systeme.
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- Je nach dem Ausmaß der örtlichen Energieflußdichteabsenkung auf den Mittelwert (potentialloser Zustand) ergeben sich unterschiedliche Anteile stofflicher Kreis- und Verlustprozesse. Die irreversiblen Stoffverluste in die Fließgewässer sind an die raum-zeitlichen Verteilung des Wassers und dessen Fließbewegung gekoppelt. Anhaltend hohe stoffliche Verluste bei abnehmenden Stoffvorräten führen zu einem weitgehenden Zusammenbruch der Vegetation, d.h. die Nachhaltigkeit der natürlichen Systeme wird abgesenkt.
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- 4. Für die Landschaft kann ein Wirkungsgrad ermittelt werden.
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- Der landschaftliche Wirkungsgrad kann aus der Dynamik der Prozesse (wahrnehmbar z.B. als Temperatur- und Abflußschwankung) abgeleitet werden. Auch die Entwicklung dauerhafter und vielfältiger Strukturen steht in direktem Bezug zu ihm. Der Wirkungsgrad ist daher ein Maß für die Nachhaltigkeit einer Landschaft.
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- 5. Fließgewässerprozesse sind denen der Landschaft nachgeordnet und ähnlich.
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- Die Prozesse im Fließgewässer sind denen der Landschaft nachgeordnet und ähnlich. Rückgekoppelt an die Selbstoptimierung der Landschaft entwickeln Fließgewässer Strukturen, die den Stofffluß maximal gegenüber der Wasserbewegung verzögern. Dadurch tragen sie zur Verlustarmut des gesamten Einzugsgebietes bei (Selbstoptimierung des Fließgewässers).
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- 6. Funktionale Leitbilder ermöglichen die Steigerung der Nachhaltigkeit.
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- Aus diesem prozeßhaften Naturverständnis heraus sind die Leitbilder für natürliche Systeme funktional zu definieren. In ihnen muß die Veränderung der räumlichen und zeitlichen Prozesse im Wasser- und Stoffhaushalt und damit die Veränderung des landschaftlichen Wirkungsgrades im Vordergrund stehen.
B.1. Energiedissipation als Grundlage funktionaler Ökosystemanalyse
B.1.1. Begriffsdefinitionen
Der Zusammenhang zwischen der Energiedissipation und den Stoffflüssen in der Landschaft bildet die Grundlage der nachfolgenden funktionalen Ökosystembetrachtung. Definiert ist dabei der Begriff der Energie sowie der Energiedissipation wie folgt (Ripl & Hildmann 1995, i.p.):
- Energie ist als Wechselwirkung zwischen zwei oder mehreren Objekten zu betrachten (z.B. Moleküle, Sonne - Erde). Wahrnehmbar bzw. meßbar ist die Energie durch die räumliche und zeitliche Änderung der miteinander in Wechselwirkung stehenden Objekte (z.B. als chemische Reaktion, Temperaturänderung).
- Unter der Dissipation von Energie (Energieflußdichteabsenkung) wird ein Prozeß verstanden, bei dem Energie während eines Pulses (Phase einer Wechselwirkung bzw. aus einem energetischen Potential) "aufgenommen" und zeitlich sowie räumlich phasenverschoben wieder "freigesetzt" wird. Dabei wird der Energiepuls in Richtung des Mittelwertes eingelenkt (gedämpft) und das Potential abgebaut. Stets erfolgt dieser Prozeß durch die räumliche und zeitliche Verlagerung von Materie. Beispielsweise wird durch die Energie aus der Wechselwirkung zwischen Sonne und Erde Luft erwärmt. Dadurch entstehen Druckunterschiede (energetisches Potential), die durch den Transport (Wind) abgebaut werden.
B.1.2. Die Energiedissipation in der Natur
- Auch Ökosysteme sind aus funktionaler Sicht dissipativ: Die im Tag-Nacht-Rhythmus gepulste Energie aus der Wechselwirkung der Erde mit der Sonne1 hält über das Wasser Prozeßabläufe in der Landschaft aufrecht, welche die Energie zeitlich (vom Tag in die Nacht) und räumlich (von wärmeren zu kühleren Bereichen) verschieben. Folge ist eine Dämpfung des täglich wirksamen Energiepulses, was auch als Energiedissipation bzw. Energieflußdichteabsenkung bezeichnet wird.
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- Abb. 1: Einlenkung des Energiepulses auf den Mittelwert (Energiedissipation).
- Wahrnehmbar ist sie in der Verringerung der Tag-Nacht-Temperaturunterschiede, d.h. in der Temperatureinlenkung in Richtung des Mittelwertes eines Ortes (Abb. 1). Folgende Eigenschaften des Wassers sind im Prozeß der Energieflußdichtesenkung von entscheidender Bedeutung (dissipative Prozessoreigenschaften des Wassers, Abb. 2):
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Abb. 2: Die Prozessoreigenschaften des Wassers.
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- Die physikalische Prozessoreigenschaft des Wassers besteht in seiner Fähigkeit zur Verdunstung und Kondensation. Über diese Prozesse wird Energie aus der Wechselwirkung zwischen Sonne und Erde gespeichert und raum- und zeitverschoben wieder freigesetzt. Die dissipativen Verdunstungs- und Kondensationszyklen besitzen in Verbindung mit der hohen Wärmekapazität2 des Wassers die größte Bedeutung bei der Energieflußdichtesenkung.
- Die chemische Prozessoreigenschaft des Wassers beruht auf seiner Dipolstruktur. Der Wasserdipol kann Energie durch erhöhte Dissoziation in OH-- und H+-Ionen aufnehmen und bei der Wassersynthese wieder freisetzen. Ansteigende Temperaturen erhöhen die Dissoziation und damit auch die Reaktivität (Säurecharakter) des Wassers, ebenso wie die Beschleunigung bzw. Verzögerung der Wassermoleküle an den Phasengrenzflächen der Bodenpartikel.
Über den Wasserdipol können so weitere dissipative Prozesse über Ladungs- bzw. Protonenflüsse ablaufen. Sie führen in der Landschaft auch zu irreversiblen Ladungsverlusten an das Meer, da die dort sedimentierenden Stoffe, wie z.B. Kalk, erst in geologischen Zeiträumen wieder zur Verfügung stehen. - Die biologische Prozessoreigenschaft des Wassers ist durch seine Spaltung bei der Photosynthese sowie durch die Wasserbildung bei der Veratmung und Mineralisation gegeben: In Zeiten erhöhter Wechselwirkung zwischen Sonne und Erde wird bei der Photosynthese Wasserstoff gebildet. Dieser wird über die Reduktion des Kohlendioxids zum Aufbau energiereicher Substanz genutzt (Zucker, Zellulose). Die entgegengesetzte Reaktion ist die Respiration, bei der wieder Wasser entsteht und Energie für die Lebensprozesse der Organismen freigesetzt wird. Die mit der Sukzession zunehmende raum-zeitliche Organismenkopplung (Zönosenkernstruktur, Kap. 2.1) bewirkt, daß diese Prozesse räumlich begrenzt in immer stärkerem Maße als Kreislauf stattfinden. Die Zönosen wirken so den Stoffverlusten entgegen, die durch den Wasserkreislauf in Verbindung mit den Lösungsprozessen entstehen (Ripl & Hildmann 1995, i.p.).
Dissipative Verdunstungs- und Kondensationszyklen führen zum Wasserkreislauf auf der Erde. Durch ihn wird die Landschaft geformt und werden Stoffflüsse aufrechterhalten. Sie erfolgen mit dem ober- und unterirdischen Abfluß gerichtet zu den Fließgewässern als den tiefsten Linien in der Landschaft und über diese zur globalen Senke Meer. Bezogen auf die im Oberboden begrenzt vorhandenen pflanzennotwendigen Basen handelt es sich hierbei um einen irreversiblen Verlustprozeß, der die Lebensdauer bzw. Stabilität ökologischer Strukturen begrenzt. Funktional betrachtet setzt das Wasser über Transporte gelöster sowie fester Stoffe einen Teil der täglich wirksamen Energie neben Verdunstung und Kondensation auch in Prozesse der räumlichen Strukturierung um (Stofflösung/-fällung, Erosion/Akkumulation). Die morphologische Dynamik sowohl zu Land als auch im Fließgewässer kann dabei als Abbild dieser Prozesse betrachtet werden.
- Auch die Dynamik zönotischer Strukturen beruht auf dem Prinzip der Energiedissipation. Die Stoffflüsse dieser Strukturen werden vom täglich wirksamen Energiepuls aufrechterhalten, bei ungehinderter Entwicklung dabei zunehmend als Kreisprozeß betrieben: Unter der Begrenzung des verfügbaren Raumes bzw. seiner Ressourcen, wie z.B. Nährstoffe (Raumlimitierung) und der pulsstabilen Energetik tritt eine Selbstorganisation der Strukturen ein. Charakterisierbar ist diese Entwicklung funktional durch die Maximierung der Energieflußdichteabsenkung, einhergehend mit der Minimierung stofflicher Verluste. Geologische Stoffzyklen werden dadurch verlängert und damit auch die Zeitspanne einer möglichen Nutzung der Fläche durch den Menschen (nachhaltigkeitssteigernder Prozeß, Kap. 2, 3).
B.2. Organismengemeinschaften (Zönosenkernstrukturen) als energiedissipative Strukturen
B.2.1. Die Zönosenkernstruktur
Organismen bilden zusammen mit dem Wasser und ihrem Standort eine energiedissipative Funktionseinheit: Rückgekoppelt an die energetische Wechselwirkung zwischen Sonne und Erde wird nicht nur aktiv das zur Verfügung stehende Wasser verdunstet, sondern auch energiereiche Substanz aufgebaut und zeitlich phasenverschoben wieder veratmet bzw. mineralisiert. Die im Tag-Nacht-Rhythmus gepulste Energie hält somit Wechselwirkungen zwischen Organismen aufrecht, bestehend in einer Zirkulation von Stoffen unter deren permanenter Reduktion und Oxidation.
Eine stetige Energieflußdichteabsenkung über den biologischen Prozeß erfordert eine funktionale Kopplung der Organismen, welche die Stoffkreisläufe weitgehend schließt. Die Zönosenkernstruktur ist die kleinste Einheit, die durch das Zusammenwirken folgender Elemente diese Voraussetzung erfüllt (Abb.3):
Die Produzenten, also die pflanzlichen Organismen, tragen den Prozeß der Energieflußdichteabsenkung (Transpiration, Biomasseaufbau). Sie steuern ihn auch in gewissen Grenzen, indem sie durch Streuakkumulation und Transpiration den Bodenwasserhaushalt regulieren und damit auch den Stoffabbau.
Der Detritus ist Speicher für Nähr-, Mineralstoffe und Wasser.
Die Destruenten, d.h. Pilze und Bakterien, schließen die Stoffkreisläufe durch den Abbau abgestorbener organischer Substanz. Über den Wassertransport werden Sauerstoff und Reaktanten zugeführt sowie Stoffwechselendprodukte abtransportiert. Die Produzenten steuern den Wasserfluß und damit die Aktivität der Destruenten (flußkontrollierte Prozeßträger).
Das Wasser ist Transport- und Reaktionsmedium und dient als Kühlmittel. Beschleunigtes Wasser wirkt erosiv, stagnierendes Wasser konservierend.
Die Konsumenten kontrollieren den Prozeß, indem sie die Produzenten bzw. die Konsumenten anderer trophischer Ebenen bewirtschaften. Durch die Bewirtschaftung werden ständige Zuwachsphasen aufrechterhalten und damit die Raumlimitierung aufgehoben.
Abb. 3: Die Zönosenkernstruktur schematisch (oben) und an zwei Beispielen (unten).
- Die Energieflußdichteabsenkung läuft in einer ZKS in Form folgender Prozesse ab (Abb. 4):
Abb. 4: Prozesse zur Absenkung der Energieflußdichte in einer ZK
- Verdunstung3 von Wasser:
Über die Verdunstungsprozesse wird der größte Teil der Energie dissipiert. Beeinflußt werden sie durch die jeweilige Energieeinwirkung, das zur Verfügung stehende Wasser und durch Luftaustauschprozesse. Die Transpiration kann innerhalb gewisser Grenzen vom Produzenten aktiv gesteuert werden (Schließen der Spaltöffnungen bei extremen Temperaturanstieg). Die Interzeption nimmt mit zunehmender Oberfläche und deren Rauhigkeit zu, die Evaporation dagegen mit Weiterentwicklung der ZKS ab.
- Auf- und Abbau von Biomasse:
Durch den Produktionsprozeß der autotrophen Organismen wird Energie in der Biomasse fixiert und größtenteils phasenverschoben durch Veratmung und Mineralisation wieder freigesetzt. Während bei den Produzenten tagsüber der Produktionsprozeß dominiert, läuft nachts nur noch der Respirationsprozeß ab.
- Kurzgeschlossene Verdunstung- und Kondensationszyklen:
Kurze Verdunstungs- und Kondensationszyklen, wahrnehmbar als Taubildung, sind bei hoher Verdunstungskühle möglich. Beispielsweise kann im Baumkroneninneren transpiriertes Wasser an kühlerer Stelle rasch wieder kondensieren.
- Interne Kreisläufe:
Hierzu zählen z.B. der auf- und absteigende Saftfluß sowie kurzgeschlossene Kreisprozesse wie Photosynthese und Photorespiration.
- Wärmestrom im Boden:
Nicht von den Organismen dissipierte Energie wird teilweise als Bodenerwärmung und zeitverzögerte -abkühlung wirksam. Dabei findet ein Bodenwärmestrom statt, der tagsüber in die Tiefe und nachts zur Oberfläche hin gerichtet ist. Diese dissipativen Bodenprozesse verschieben die Energie zeitlich (vom Tag in die Nacht) und räumlich (von wärmeren zu kühleren Bodenbereichen) und lenken die Schwankung der Bodentemperatur auf ihren Mittelwert ein. Begünstigt werden dabei Prozesse der physikalischen Verwitterung, chemischen Lösung und Mineralisation; Stoffausträge werden vorbereitet. Die Extreme der Bodenerwärmung/-abkühlung werden mit zunehmender Weiterentwicklung der ZKS minimiert.
- Ausgleichende Warm- und Kaltluftströme der Luft (Abb. 5):
Bei örtlich unvollständiger Energiedissipation erwärmt sich über dem Boden die angrenzende Luft und steigt auf. Sie führt in höheren Luftschichten zur Ausbildung eines kleinräumigen Hochdruckgebietes gegenüber den angrenzenden, besser gekühlten Gebieten. Der so entstandene Druckgradient gleicht sich aus, indem sich die aufsteigende Luft ausdehnt, ausbreitet und abkühlt. Da sie nur über den Kühlflächen unter fortwährender Abkühlung wieder absinken kann, entstehen dort bodennahe Druckgradienten zu den Wärmeinseln. Ihr Ausgleich erfolgt durch ein bodennahes Fließen von Kaltluftströmen von den Kühlflächen in Richtung der Wärmeinseln. - Im Bereich der Erwärmung ist durch den Aufstieg der warmen Luft bodennah ein Unterdruck im Verhältnis zu den umliegenden Flächen entstanden. Auch dieser wird durch das Zuströmen der Kaltluft ausgeglichen; der Kreislauf schließt sich.
Importe (trockenerer) Warmluft und Exporte (feuchterer) Kaltluft als energiedissipative Prozesse am Tag führen in den Kühlflächen zu einer gesteigerten Transpiration. Die Bodenwechselfeuchte ist erhöht und damit auch die Mineralisation organischer Substanz; Stoffausträge werden vorbereitet. Die Luftdruckunterschiede werden mit zunehmender Weiterentwicklung einer ZKS weitgehendst minimiert.
Abb. 5: Warm- und Kaltluftströme können energetische Potentiale in der Landschaft ausgleichen.
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Erwärmung und Abkühlung des gespeicherten WassersDurch die hohe Wärmekapazität des in der lebenden und toten Biomasse gespeicherten Wassers wird ebenfalls Energie zeitlich verschoben und damit dissipiert. Ein feuchter Wald erwärmt sich wesentlich langsamer als ein Trockenrasen; dafür kühlt der Wald in der Nacht auch wesentlich langsamer aus.
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Als Biofilm mit Algen (Produzenten), Rotatorien, Crustaceen (Konsumenten), Detritus, Bakterien (Destruenten) und Wasser, hier sogar als umgebendes Element.
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Als Aufwuchs auf einer Oberfläche mit Flechten und Moosen (Produzenten), Käfern und Spinnen (Konsumenten), abgestorbenen Pflanzenteilen (Detritus) und Bakterien/Pilzen (Destruenten) sowie mit dem Wasser.
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Als Hochmoor mit Sphagnen (Produzenten und Detritus), einigen Laufkäfern (Konsumenten), Bakterien (Destruenten) und Wasser.
- Als perenne Pflanze, wie die Buche (Produzent) mit Buchenspringrüssler (Konsument), Streu (Detritus), Destruenten und Wasser.
B.2.2 Wirkungsgrad energiedissipativer Strukturen
Den besten Wirkungsgrad hat die Struktur, die unter Erhalt ihrer stofflichen Voraussetzungen (begrenzt vorhandene Nährstoffe und Puffersubstanzen ihres Standortes) den Energiepuls am vollständigsten dämpft. Nur eine verlustarme Energieflußdichteabsenkung gewährleistet das dauerhafte Bestehen der Struktur. Eine Bestimmung des Wirkungsgrades setzt die Betrachtung eines sinnvoll abgegrenzten zeit-räumlichen Intervalls voraus (raum-zeitliche Systemabgrenzung).
Die Bestimmung des Anteils der Stoffverluste gegenüber den Kreisprozessen erfordert zum einem die Betrachtung weitgehend geschlossener räumlicher Systeme. Wassereinzugsgebiete besitzen über den gerichteten Wasser- und daran gebundenen Stofftransport, ausgehend von der Gebietskante hin zu den Fließgewässern als den tiefsten Punkten einer Landschaft, eine relative Abgeschlossenheit der Stoffflüsse zur Umgebung. Zwar findet auf dem Luftweg ein ständiger Stofftransport zu und aus der Fläche statt, doch ist er gegenüber den Transporten mit dem abfließenden Wasser vernachlässigbar gering. Wassereinzugsgebiete bilden daher eine sinnvoll räumlich abgrenzbare, dissipative Struktureinheit. Ihr Wirkungsgrad läßt sich über die Austräge gelösten Materials in die Fließgewässer bestimmen (Ripl & Hildmann 1995, i.p.).
Zur Wirkungsgradbestimmung energiedissipativer Strukturen sind zum anderen möglichst geschlossene zeitliche Intervalle zu betrachten. Sie richten sich nach den in der Natur vorgegebenen Frequenzen, innerhalb denen der Dissipationsprozeß betrieben wird (z.B. Tages-, Jahreszyklus).
Bemessen läßt sich der Wirkungsgrad neben der Schwankung der täglichen Temperaturamplitude auch über das Verhältnis der im Kreislauf geführten Stoffe gegenüber den Verlusten4. Rückschlüsse sind außerdem auf der Grundlage der Niederschlags- und Abflußvarianz möglich (Kap. B.3 und D.3.1).
B.2.3 Die Steigerung des Wirkungsgrades (Selbstoptimierung) als thermodynamische Notwendigkeit
Solange die Energie nicht vollständig an Ort und Stelle in Kreisprozessen dissipiert wird, bleibt ein Restpotential erhalten. Dessen Abbau in der Landschaft führt zu Stoffflüssen (Abb. 7). Die transportierten Stoffe, wie Nährstoffe und Basen, gehen dem System - bei Zugrundelegung der raum-zeitlich definierten Systemgrenzen (s.o.) - irreversibel verloren. Sie führen zur Systemdestabilisierung, da den Pflanzen die stoffliche Grundlage ihrer Existenz zunehmend entzogen wird. Die Basen (Ca, K, Mg etc.) sind als Puffersubstanz für Bodenprozesse (z.B. Neutralisierung von Respirationskohlensäure) und als Pflanzeninhaltsstoffe (vgl. Ebermayer 1876) stoffliche Voraussetzung für das Pflanzenwachstum.
Abb. 7: Projektion des Energiepulses in die Landschaft
Durch den Prozeß der Selbstorganisation (Selbststrukturierung) nähert sich das ungestörte System dem Zustand geringster Energieflußdichte. Dies geschieht, da dann die Energie nicht nur am weitestgehendsten in Kreisprozessen dissipiert wird, sondern auch die geringsten stofflichen Verluste auftreten. Das System funktioniert damit nachhaltiger und ist durch seine Langlebigkeit bei ausreichender Beobachtungsdauer wahrscheinlicher als ein verlustreicheres anzutreffen. Deshalb besitzt jedes energiedissipative System innerhalb seiner raum-zeitlichen Grenzen die systemimmanente Eigenschaft, nach Dauerhaftigkeit bzw. Langlebigkeit zu streben.
Sukzession als thermodynamische Notwendigkeit
Aus dem Prinzip der Minimierung der Energieflußdichte ergibt sich auch die Sukzession als thermodynamische Notwendigkeit. Durch sie verbessert sich der Wirkungsgrad einzelner ZKSen, sichtbar z.B. in einem lichten Birkenwald, in dem einige Eichen zusätzlich aufwachsen. Das Strukturierungspotential und die Sukzessionsgeschwindigkeit ergibt sich aus der Differenz zwischen maximal nutzbarem Energiepotential und aktueller Nutzung:
In einer Phase geringen Wirkungsgrades, d.h. zu Beginn der Sukzession, können sich die angesiedelten Pflanzen ungehindert ausbreiten. Es kommt noch zu keiner Interaktion zwischen ihnen (Etablierungsphase). Die Auswahl der sich ansiedelnden Pflanzenarten hängt von deren Verbreitungsmechanismen und dem Standort ab. Sie beinhaltet einen noch entsprechend großen Zufallsanteil; das Artenspektrum weist eine hohe Varianz auf (hohe Artenzahl). Die Stoffkreisläufe sind noch nicht geschlossen; längst nicht alle zur Verfügung stehende Energie wird an Ort und Stelle dissipiert.
Ist der Raum vollständig mit Vegetation besetzt (einsetzende "Raumlimitierung"), kann der Wirkungsgrad der Strukturen nur noch durch zunehmend phasengerechteres Zusammenwirken der Organismen unter weitgehendem Schließen der Stoffkreisläufe gesteigert werden (Optimierungsphase). Arten, die dazu beitragen, werden positiv selektiert, andere fallen aus. Mit zunehmend verlustarmer Energiedissipation innerhalb der ZKS steigt daher deren Struktur- und Prozeßstabilität, sichtbar in der gegenüber der Etablierungsphase geringeren Artenvarianz. Außerdem verändert sich mit Eintreten der Raumlimitierung das Artenspektrum von r-Strategen zur K-Strategie.
Der Grad der Selbstorganisation ist unter gegebenen und sich rückgekoppelt verändernden Bedingungen somit die treibende Kraft (Potential) für Sukzession und Evolution. Dabei setzen Sukzession und Evolution nicht an der einzelnen Art an (survival of the fittest), sondern an deren Vergesellschaftung in der ZKS. In diesem Selbststrukturierungsprozeß gehen erst bei zunehmender Raumlimitierung die Stoffverluste in der ZKS aufgrund der Notwendigkeit von enger geschlosseneren Stoffkreisläufen nennenswert zurück (Abb. 8).
Abb. 8: Veränderung von Stoffverlusten während der Sukzession.
Sukzessionspotential im Klimax (Evolution)
Ein optimiertes Ökosystem weist keine Nettoprimärproduktivität (NPP) mehr auf. Der Stoffhaushalt nettoproduktiver Systeme ist um den Betrag der Nettoproduktivität nicht in Kreisprozessen angeordnet: Um die für das Wachstum notwendigen Basen zu lösen, senkt die Vegetation den pH-Wert an der Wurzel entsprechend ab. Transportprozesse durch versickerndes Niederschlagswasser führen dann zu Stoffverlusten. Die ZKS weist als sich selbst organisierende Struktur die Eigenschaft auf, diese Verluste zu minimieren. Grundlage dabei bildet eine zunehmend "phasengerechte" Steuerung der Abbauprozesse durch Einflußnahme auf die Wechselfeuchte im Detritus (Kap. B.3). Über längere Zeit nettoproduktiv sind nur solche Systeme, denen ständig Biomasse entzogen wird (z.B. ein Acker oder eine Weide).
Lebende Organismen weisen immer ein expansives Element auf (Reproduktion). Im Klimax (NPP -> 0) ist eine über die aufgebaute Biomasse hinausgehende Expansion nicht mehr möglich, so daß Wachstum nur über die Bruttoprimärproduktion (BPP) als Austausch einzelner Individuen möglich ist. Ein System, in dem die BPP -> 0 ist, ist tot. Als optimal muß daher ein Klimaxsystem gelten, das die Bedingungen "NPP -> 0 bei BPP -> max" erfüllt. Dies ist gleichbedeutend mit den Kriterien Stoffverlustfreiheit (Entropie -> 0) und maximalem Wirkungsgrad. Damit erklärt sich auch ein Sukzessionspotential in Klimaxgesellschaften, das letztlich zur Bildung neuer Arten führt (Evolution), da sich die Zönosen durchsetzen, die diese Bedingungen weitestgehend erfüllen.
An dieser Stelle sei nochmals die besondere Rolle der Konsumenten bei Maximierung der BPP und damit des Wirkungsgrades einer ZKS im Klimax genannt (Kap. B.2.1). Durch Bewirtschaftung der übrigen Organismen halten sie beständige Zuwachsphasen aufrecht und heben dadurch die Raumlimitierung zeit-räumlich begrenzt auf.
Die Selbstorganisation natürlicher Systeme, sichtbar in den Prozessen von Sukzession und Evolution, funktioniert somit auf Grundlage eines gepulsten (strukturierten) Energieangebotes und vorhandener Raumlimitierung. Unter diesen Randbedingung werden diejenigen Elemente positiv selektiert, deren Zusammenwirken zu einem gleichmäßigeren Energiefluß bei zurückgehenden stofflichen Verlusten und damit zu größerer Stabilität des Systems führt.
B.3. Der Selbstoptimierungsprozeß als Entwicklung des Wasser- und Stoffhaushaltes in Richtung erhöhter Nachhaltigkeit
Die Wirkungsgraderhöhung einer ZKS erfolgt durch aktive Rückwirkung auf den Wasserhaushalt ihres Standortes (z.B. durch Akkumulation von Laubstreu oder Humus). Einzugsgebiete als dissipative Struktureinheit weisen daher im Rahmen des Selbstoptimierungsprozesses eine Änderung in ihrem Wasserhaushalt auf. Diese Änderung bezieht sich auf das Niederschlags- und Abflußverhalten sowie verbunden damit auch auf das Ausmaß wechselfeuchter Phasen im Boden. In engem Zusammenhang dazu stehen die Austräge gelöster Stoffe in Richtung der Fließgewässer. Die Änderung der Niederschlags- und Abflußvarianz sowie der daran gekoppelten Stoffverluste im Selbstoptimierungsprozeß auf Ebene des Einzugsgebietes werden im folgenden beschrieben.
B.3.1. Dynamik in Wasser- und Stoffhaushalt bei geringem Wirkungsgrad der Strukturen
Beispiel für eine Phase geringen Wirkungsgrades der Strukturen ist das spärliche Vegetationsvorkommen am Ende einer Eiszeit. Durch die unvollständige Dämpfung des Energiepulses in weiten Teilen der Fläche bestehen räumliche Temperaturgradienten zu besser gekühlten, entfernteren Bereichen. Ihr Ausgleich über eine entsprechend großräumige Zirkulation des Wassers und nachgeordnet der Atmosphäre geht mit einer hohen Dynamik im Wasser- und Stoffhaushalt der Landschaft einher.
Varianz der Niederschläge
Gegenüber Einzugsgebieten mit großflächigen, intakten Wald- und Feuchtgebieten sind Kondensationsprozesse zufälliger: Infolge der unzureichenden "Kühlung" des Großteils der Fläche treten Niederschläge unregelmäßiger und mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit als Starkregenereignisse auf. Sie besitzen somit eine erhöhte Varianz in ihrer zeit-räumlichen Verteilung und Intensität (vgl. Kap. F.1.2.1).
Gleichzeitig sind die Niederschläge durch das geringe Wasserspeicher- und -verdunstungsvermögen der ZKSen vermehrt abflußwirksam. Ober- und unterirdisch fließt das Regenwasser beschleunigt auf dem Weg des geringsten Widerstandes zu den Fließgewässern als den tiefsten Punkten einer Landschaft. Die hohe Abflußwirksamkeit der Niederschläge (meßbar als erhöhter Abflußbeiwert5) und ihre unregelmäßige Verteilung haben eine beschleunigte und häufigere Austrocknung der Fläche zwischen den Regenereignissen zur Folge. In Zeiträumen erhöhter Wechselwirkung zwischen Sonne und Erde steht daher nur unzureichend Wasser für dissipative Verdunstungs- und Kondensationszyklen zur Verfügung. Die unvollständige Umsetzung des Energiepulses hält hohe Wärmeströme sowohl im Boden als auch auf dem Luftweg aufrecht. Prozesse der Stofffreisetzung (physikalische, chemische und biochemische Verwitterung) sind dadurch begünstigt.
Räumliche Differenzen im Wasser- und Stoffhaushalt
Der Anstieg der Stofffreisetzung einerseits sowie erhöhte Abflußwirksamkeit der Niederschläge andererseits begünstigen Stoffverlagerungen mit dem Oberflächen- und dem Schichtenwasserabfluß. Rückgekoppelt an die Geomorphologie kommt es dadurch zur "hydromorphen Strukturierung" der Einzugsgebietsfläche. Sowohl in Abhängigkeit des Geländereliefs (Unterschiede im Gefälle) als auch der Bodenbeschaffenheit (Unterschiede in der Wasserdurchlässigkeit) unterliegt das abfließende Wasser Beschleunigungen und Verzögerungen. Sie bewirken in Fließrichtung die Sortierung fester und gelöster Stoffe, weshalb deren Normalverteilung in der Landschaft nicht anzutreffen ist:
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Das oberflächlich abfließende Wasser erodiert bei seiner Beschleunigung den Oberboden. Das Material wird entsprechend seiner Größe und Form bei Verzögerung des Wassers wieder abgelagert. Dieser Prozeß, der auch über das Sickerwasser mit feinpartikulärem Material stattfindet, führt in Fließrichtung zu einer Korngrößensortierung.
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Bei dem im Boden versickernden Wasser steigt mit seiner Verzögerung an den Partikeloberflächen die Beschleunigung seiner Moleküle. Dadurch erhöht sich der Säurecharakter des Wassers, d.h. seine Fähigkeit zur Stofflösung6. Mit der Verzögerung des Wassers in tieferen Bodenschichten werden die in Lösung befindlichen Stoffe vermehrt wieder ausgefällt. Stauschichten, wie z.B. Ortstein, sind sichtbares Ergebnis der hydromorphen Strukturierung über das Sickerwasser. Sie setzen die vertikale Wasserbewegung im Boden herab. Auf grundwasserfernen Standorten mit geringerer Hangneigung verbessern Stauschichten die Wasserversorgung des Oberbodens zwischen den Niederschlagsereignissen.
- Auch durch die in dieser Phase der Landschaftsentwicklung nettoproduktive Vegetation wird der Protonenumsatz im Boden erhöht, die Stofflösung und -verlagerung mit dem Sickerwasserabfluß somit begünstigt: Da ein nährstoffreicher Detritus noch fehlt, sind die Stoffkreisläufe weitgehend ungeschlossen. Zur Nährstoffgewinnung gibt die Vegetation H+-Ionen aus der Wasserspaltung bei der Photosynthese ab. Ein weiterer Prozeß zur Nährstoffgewinnung stellt der Abbau von Wurzelmasse, d.h. energiereiche Substanz mit hohem Phosphor-, Stickstoff- und Schwefelgehalt dar. Die dabei entstehenden Starksäuren werden, solange der Boden noch puffernde Basen enthält, zu Bikarbonaten, Sulfaten und Nitraten umgebildet. Diese werden nach der nächsten Benetzungsphase räumlich verlagert. Aufgrund des geringen Anteils von verdunstendem zu versickerndem Niederschlagswasser wird auf diese Weise die irreversible Verlagerung des Großteils der freigesetzten Basen in tiefere Bodenschichten begünstigt.
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- Innerhalb dieses vom Wasserkreislauf in Wechselwirkung mit der Geomorphologie gesteuerten Strukturierungsprozesses kommt es zu einer zunehmenden Standortdifferenzierung bezüglich des Wasser- und Stoffhaushaltes (Abb. 9):
- In den gefällereicheren Hanglagen dominieren aufgrund der beschleunigteren Wasserbewegung Austräge fester und gelöster Stoffe mit dem Oberflächen- und dem Bodenwasserabfluß (vergrößertes hydraulisches Potential).
- Unter der rascheren ober- und unterirdischen Entwässerung der gefällereicheren Einzugsgebietslagen liegt dort eine vergrößerte Amplitude im Grund- und Schichtenwasserabfluß vor. Der Boden trocknet gegenüber den flacheren Lagen kurzfristiger nach Niederschlagsereignissen wieder aus. Intensivere Wechselfeuchte und Bodenerwärmung/-abkühlung begünstigen die biologisch stark beeinflußte Mineralisation und physikalische Verwitterung. Niederschlagsabhängig werden die freigesetzten Stoffe mobilisiert. Neben Verlagerungen feinpartikulären Materials (z.B. Tonminerale) finden vermehrt Auswaschungen gelöster Pflanzennährstoffe statt. Von besonderer Bedeutung sind dabei die pflanzennotwendigen Basen Calcium, Magnesium, Kalium und Natrium. Mit ihrem Transport in tiefere, undurchschaubare Bodenschichten bzw. Richtung Vorflut erfolgt eine permanente Reduzierung des pflanzenverfügbaren Vorrats. Aufgrund der irreversiblen Stoffverluste werden diese Teilbereiche eines Einzugsgebietes zunehmend nährstoffärmer. Sie werden aber auch trockener, da einerseits unter dem schwankenden Bodenwasserspiegel wasserspeichernde organische Substanz (z.B. abgestorbenes organisches Material, Humus) verstärkt mineralisiert wird, andererseits der Austrag feinpartikulären Materials das Wasserrückhaltevermögen des Bodens zusätzlich verringert.
- In den gefälleärmeren Hanglagen und insbesondere den nachfolgenden Niederungen überwiegt aufgrund der verzögerten Wasserbewegung die Akkumulation des gelösten und feinpartikulären Transportmaterials (Ton, Schluff). Mit der dadurch zunehmend herabgesetzten Bewegung des Wassers im Boden erhöht sich dessen Rückhalt in diesen Flächen (Rückgang der Wasserleitfähigkeit). Sie werden daher gegenüber den oberen Einzugsgebietslagen nicht nur nährstoffreicher, sondern auch feuchter. Niederschläge können zu immer größeren Anteilen gespeichert werden und verlängern die Feuchtphasen des Bodens. Mit den gegenüber den höheren Standorten zurückgehenden Schwankungen im Bodenwasserhaushalt (verringerte Wechselfeuchte) liegt eine geringere Prozeßintensität in der Stofffreisetzung und -mobilisation vor.
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Abb. 9: Die Energetisch-Wasserhaushaltliche Logik der Landschaft (EWL).
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Der dynamische Wasserhaushalt des Einzugsgebietes, charakterisiert durch eine hohe Niederschlags- und Abflußvarianz, geht somit mit einer hohen morphologischen Dynamik einher. Stets entwickeln sich dabei jedoch Strukturen, bei denen eine maximale Verlangsamung des Stofftransportes gegenüber der Wasserbewegung vorliegt (vgl. Stoffakkumulation in Niederungen, Senken). Der sich dadurch verbessernde Wasserrückhalt dieser Räume ermöglicht auch bei längeren Trockenperioden noch Verdunstungsprozesse. Als besser gekühlte Teilflächen im Einzugsgebiet steigt hier die Kondensationswahrscheinlichkeit. Die nur lokale Erhöhung des Wasseranteils in kurzgeschlossenen Zyklen sowie der Wasserspeicherung im Boden besitzen jedoch noch kaum ausgleichende Wirkung auf das Abflußverhalten des Einzugsgebietes. Die erhöhte Temperaturschwankung aufgrund des geringen Wirkungsgrades der Strukturen in weiten Teilen der Fläche hält eine hohe Varianz im Niederschlagsverhalten aufrecht.
- Varianz der Abflüsse
- Gebunden an die Schwankungen der Niederschlagsverteilung liegt eine große Abflußvarianz vor. Sie spiegelt sich in charakteristischer Weise in den jährlichen Extremwerten und der Ganglinie der Fließgewässerabflüsse wider:
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Unter der Unregelmäßigkeit der Niederschläge und ihrer hohen Abflußwirksamkeit tritt insbesondere in den Sommermonaten eine verstärkte Austrocknung des Bodens auf. Die zurückgehende Wasserspende an die Fließgewässer (zurückgehender Basisabfluß) bewirkt ausgeprägte Extreme in Ausmaß und Dauer sommerlicher Niedrigwasserführung (geringer Trockenwetterabfluß). Diese sind in den hauptsächlich vom Schichtenwasserabfluß gespeisten Fließgewässern der höheren Einzugsgebietslagen größer als bei grundwasserbeeinflußten Fließgewässern der Niederungen.
- Gleichzeitig führen unregelmäßige Verteilung und hohe Extreme der Niederschläge zu ausgeprägten niederschlagsabhängigen Abflußspitzen in den Fließgewässern. Hochwasserspitzen einerseits sowie Extreme in der Niedrigwasserführung andererseits sind als starke Schwankungen des Hydrographen (Abflußkurve) wahrnehmbar.
- Abweichungen in der Dynamik des Wasser- und daran gebunden auch des Stoffhaushaltes zwischen Einzugsgebieten vergleichbarer Größe treten durch deren Unterschiede bzgl. Form, Gefälle und Bodenart auf. Diese Eigenschaften des Einzugsgebietes beeinflussen die Beschleunigung bzw. Verzögerung des abfließenden Wassers und damit die Intensität seiner Wechselwirkung mit dem Bodensubstrat. Vermehrt wirksam werden diese Eigenschaften mit abnehmendem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen, da dann der Anteil des beschleunigt ober- und unterirdisch abfließenden Niederschlagswassers gegenüber dem gespeicherten und rasch wieder verdunstenden erhöht ist.
- Zusammenfassung
Bei geringem Wirkungsgrad der ZKSen eines Einzugsgebietes bestehen noch stärkere räumliche Temperaturgradienten zu kühleren Bereichen in der Landschaft. Verdunstung und Kondensation verringern die Gradienten und erfolgen vermehrt räumlich und zeitlich voneinander getrennt. Einher geht die verlängerte Zykluszeit des Wassers mit einer hohen Niederschlagsvarianz im Einzugsgebiet. Sequentielle Prozesse von Stoffab- und -aufbau und damit intensive Transporte mit dem Abfluß sind begünstigt.
- Je unvollständiger der Energiepuls durch Verdunstung und Kondensation an Ort und Stelle gedämpft wird, desto mehr wird er durch Prozesse der Stofflösung und -verlagerung über das dynamische Medium Wasser wirksam. Auf Einzugsgebietsebene führt dies zur Entwicklung räumlicher Varianzen hinsichtlich Wasser- und Nährstoffversorgung: Lagen beschleunigter Wasserbewegung werden nährstoffärmer und trockener zugunsten Lagen verzögerter Wasserbewegung, deren Wasser- und Nährstoffversorgung ansteigt. Nur in einer solchen Phase der Landschaftsentwicklung können sich daher fruchtbare Niederungen und Niedermoore bilden. Die Veränderungsdynamik morphologischer und auch zönotischer Strukturen ist unter den beschleunigten Stofftransporten hoch.
Die über den gerichteten Wasserfluß der Einzugsgebietsfläche nachgeordneten Fließgewässer weisen rückgekoppelt an das Niederschlagsverhalten hohe Abflußvarianzen auf (ausgeprägte Extreme in der Hoch- und Niedrigwasserführung), Einträge fester und gelöster Stoffe sind maximiert. Durch die intensive Stofffreisetzung im Einzugsgebiet ist der Nährstoffeintrag in die Fließgewässer direkt an die Höhe und zeitliche Verteilung des Sickerwasserabflusses rückgekoppelt. Damit kann es zum einem im Sommer bei starken Niederschlagsereignissen zu vermehrtem Stoffeintrag in die Gewässer kommen. Zum anderen werden vom Herbst bis Frühjahr, dem Zeitraum erhöhter Abflußwirksamkeit der Niederschläge, mineralisierte Stoffe zeitverzögert mobilisiert und irreversibel in die Vorflut ausgewaschen.
Deutlich wird, daß der noch sehr dynamische Wasser- und Stoffhaushalt in Wechselwirkung mit der Geomorphologie stets zur Entwicklung von Strukturen mit verbessertem Wirkungsgrad führt (Stoff- und Wasserrückhalt in Niederungen und Senken). In diesen Einzugsgebietsbereichen kann durch die sich selbstoptimierenden ZKSen der Energiepuls gegenüber der übrigen Fläche zunehmend verlustarm gedämpft werden (BPP -> max, NPP -> min, Kap. B.2.3), weshalb sie erste Senken für die pflanzennotwendigen Basenstoffe in der Einzugsgebietsfläche darstellen. Dieser auch als Selbstoptimierung charakterisierbare Selbststrukturierungsprozeß der Landschaft wird jedoch heute weitgehend unterbunden. Neben den höher gelegenen ärmeren Standorten werden insbesondere die fruchtbaren Niederungen für eine intensive Agrar- und Forstwirtschaft genutzt. Dadurch ist die Vegetation in weiten Teilen der Einzugsgebietsfläche nettoproduktiv. Da ein ausreichender Detritus mit Säurepuffern in dieser Phase hoher Nettoproduktivität fehlt, sind die Stoffkreisläufe weitgehend ungeschlossen. Hohe Nettoproduktivität bei unzureichender Ausstattung mit Basen führt zu verstärkter Protonenabgabe der verbleibenden Vegetation, was als zeitweise Versauerung des Standortes meßbar ist. Der verstärkte Abbau organischer Substanz, z.B. durch die Entwässerung der Landschaft, senkt ebenfalls den pH des Bodenwassers ab und begünstigt dadurch Nährstoffauswaschungen. Zusätzlich wird Oxidationsenergie im Boden durch bestimmte Düngemaßnahmen, z.B. durch Wirtschaftsdünger oder Gülle, als Säure wirksam. Hierbei entstehen auch Starksäuren (Salpetersäure, Schwefelsäure). Der Energieeintrag durch die Bodenbearbeitung (z.B. Pflügen) führt zu einer starken Vergrößerung der Partikeloberfläche im Boden (Oberflächenenergie) und damit ebenfalls zu einer erhöhten Lösungskinetik sowie der Auswaschung der darin enthaltenen Basen.
B.3.2 Dynamik in Wasser- und Stoffhaushalt bei optimiertem Wirkungsgrad der Strukturen
- Steuerung des Bodenwasser- und Stoffhaushaltes durch die ZKS
Ausgehend von den feuchten, nährstoffreichen Niederungen und Gewässerrändern besiedeln die Organismen nach und nach auch die übrige Einzugsgebietsfläche. Über ihre Lebensprozesse (Kap. B.2.1) optimieren sie an Ort und Stelle die Dissipation des täglich wirksamen Energiepulses. Innerhalb dieser Entwicklung kommt der Vegetation durch Ausbildung wasserspeichernder organischer Bodenauflagen (Streu, Humus) sowie durch Transpiration besondere Bedeutung zu:
-
In den feuchten Niederungen erhöhen Transpiration und Interzeption (direkte Verdunstung des Regenwassers von der Pflanzenoberfläche) den Anteil des für die Energiedissipation genutzten Boden- und Niederschlagswassers.
- Mit zunehmender Ausbreitung der Organismen in die trockeneren, höher gelegeneren Standorte werden diese mit einer wasserspeichernden Auflage aus Streu und Humus (Detritus) überzogen. Sie wirkt zusammen mit den Pflanzenwurzeln verzögernd auf die Wasserbewegung im Boden zurück. Mit der früheren Abbremsung versickernder Niederschläge werden die in ihnen gelösten Stoffe nach einer kürzeren Transportstrecke wieder genutzt bzw. ausgefällt. Folge ist die Ausbildung oberflächennaher "biogener Stauschichten". Sie setzen die vertikale Wasserbewegung herab. Ähnliche Wirkung entfaltet die Verdichtung sich akkumulierender Laubstreu. Das versickernde Niederschlagswasser fließt daher nicht nur verzögerter, sondern auch zu immer größeren Anteilen in der durchwurzelten, oberflächennahen Auflageschicht ab. Dadurch wird es zu größeren Anteilen für die Vegetation verfügbar. Diese kann so den Energiepuls immer vollständiger durch Transpiration, Wachstum und Reproduktion umsetzen.
Diese Entwicklung ist mit einer zunehmend aktiven Einflußnahme der ZKS auf den Stoffhaushalt ihres Standortes verbunden:
-
Durch das Wasserspeichervermögen der organischen Bodenauflage (Detritus) werden die Feuchtphasen des Bodens und darüber die Wasserversorgung der Vegetation zwischen Niederschlagsereignissen verlängert. Die hohe Wärmekapazität des gespeicherten Wassers und die vollständigere Dissipation des Energiepulses über die Organismen führen zu einer verringerten Schwankung der Bodentemperatur im Tagesverlauf (Kap. E.1). Folge der geringeren Bodenerwärmung bzw. -abkühlung ist eine herabgesetzte physikalische Verwitterung. Von Bedeutung für die Stofffreisetzung ist jedoch hauptsächlich die minimierte Wechselfeuchte. Sie führt zu einer verringerten Sauerstoffversorgung und damit zu einer Einschränkung der Mineralisierung (Respiration organischer Substanz). Statt dessen wird die Mineralisation immer mehr über die Vegetation verlustarm gesteuert. Durch Transpiration hält sie im dauerfeuchten Milieu des Streu- und Humuskörpers hauptsächlich im unmittelbaren Wurzelbereich einen Wasserstrom und damit wechselfeuchte Bedingungen aufrecht. Die dort freigesetzten und mit dem Sickerwasser verlagerten Nährstoffe können zum Großteil von der Pflanze aufgenommen werden. Auf- und Abbau sind somit räumlich und zeitlich enger gekoppelt ("Parallelisierung der Prozesse"). Das begrenzte Nährstoffangebot wird dadurch weitgehend erhalten.
In dem annähernd nicht mehr nettoproduktiven, reifen System findet über die im Regenwasser gelöste Kohlensäure (pH-Wert des Regens ca. 5,6) ein geringer, aber kontinuierlicher Säureeintrag statt. Dieser Eintrag ist jedoch so gering, daß lediglich eine Leitfähigkeit von ca. 10 - 120 µS/cm zu erwarten wäre. Da das Wasser nur zu einem kleinen Teil durch den Boden perkoliert (s.u.), wird diese Säure auch nur zu einem kleinen Anteil wirksam. Gelöstes Bikarbonat fällt größtenteils dort aus, wo der Wasserfluß abgebremst wird. Seekreide und Quelltuffe sind wahrnehmbare Ergebnisse derartiger Prozesse. - Zusammen mit dieser verlustärmeren, orts- und zeitangepaßteren Stofffreisetzung kommt es außerdem zu einer maximalen Verzögerung des Stofftransportes gegenüber dem Wasserfluß:
Durch den vermehrt oberflächennahen, d.h. in der durchwurzelbaren organischen Streuauflage erfolgenden Abfluß, unterliegt das Wasser einer häufigeren Verdunstung und Kondensation. Dies hat neben einer Verzögerung des Abflusses zur Folge, daß die im Wasser gelösten pflanzennotwendigen Stoffe nach kleinräumigerer Verlagerungsstrecke in der Biomasse fixiert und so vor weiterer Auswaschung geschützt werden (vgl. Abb. 10).
Mit zunehmender Entwicklung zönotischer Strukturen erfolgt auch der Oberflächenabfluß vermehrt verlustarm und verzögert. Er dominiert bei Wassersättigung der organischen Bodenauflage während Niederschlagsereignissen. Verlagerungen gelöster Stoffe finden dabei kaum statt. Da der Oberflächenabfluß durch die vergrößerte Oberfläche der Vegetation kleinräumigen Verzögerungen unterliegt, ist auch die über ihn erfolgende Sortierung grobpartikulären Materials mit verkürzten Verlagerungsstrecken verbunden.
- Räumliche Differenzen in Wasser- und Stoffhaushalt
- Durch die Entwicklung des Wasser- und Nährstoffspeichers erfolgt in der Einzugsgebietsfläche eine weitgehende Abkopplung der Stofflösungs- und Transportprozesse vom mineralischen Untergrund. Die Dynamik im Bodenwasserhaushalt wird immer mehr in die durchwurzelte oberflächennahe Detritusauflage verlagert und in dieser verlustarm über die Vegetation gesteuert. Mit Entwicklung dieses "oikos" (Haus im Sinne des von der Vegetation eigenständig geschaffenen, bewirtschafteten Raumes) gehen räumliche Standortunterschiede bezüglich Wasser- und Stoffhaushalt in der Einzugsgebietsfläche zurück: Trockene Standorte werden durch die Akkumulation organischen Materials feuchter, nasse Standorte durch Transpiration trockener. Auf den nährstoffreicheren Standorten verringert sich durch die wasserspeichernde organische Bodenauflage in Verbindung mit der Transpiration (Steuerung der Wechselfeuchte im Boden) die Menge der über das Wasser mobilisierten Nährstoffe. Dieser Form der "Oligotrophierung" steht auf ärmeren Standorten aufgrund der Ausbildung wasser- und nährstoffspeichernder organischer Bodenauflagen eine "Eutrophierung" gegenüber. Dort führt die Ausbildung der aktiv von der Vegetation bewirtschafteten organischen Bodenauflage zur Erhöhung nicht nur des Wasser-, sondern auch des Nährstoffangebotes sowie der zirkulierenden Nährstoffmenge.
- Auch Einflüsse des Einzugsgebietes bezüglich Form und Gefälle auf die Abflußdynamik gehen zurück. Im Sommer wird durch die Speicherung des Wassers in der organischen Bodenauflage sowie durch seine häufigere und kleinräumigere Zirkulation der Abfluß maximal verzögert. Form- und Gefälleeigenschaften werden daher weniger wirksam. Dies gilt in ähnlicher Weise bei erhöhten Abflüssen in den kühleren Jahreszeiten. Zwar steigen dann die Abflüsse, doch erfolgen sie durch die erhöhte Wasserspeicherung in der organischen Bodenauflage bis zur Wassersättigung der oberflächennahen Schichten ebenfalls maximal verzögert.
- Varianz in Niederschlag und Abfluß
- Die verbesserte Kühlung des gesamten Einzugsgebietes (z.B. durch intakte Wälder, Feuchtgebiete) erhöht dort die Kondensationswahrscheinlichkeit. Niederschläge treten daher regelmäßiger auf und verringern Ausmaß und Dauer sommerlicher Niedrigwasserführung. Der Rückgang in der Varianz der Niederschläge setzt sich mit immer vollständigerer Dämpfung der täglichen Temperaturamplitude fort. Rückgekoppelt daran liegt eine zunehmend gleichmäßigere Wasserspende an die Fließgewässer vor. Dies spiegelt sich in einer Dämpfung des Hydrographen (Abflußganglinie) wider:
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Im Sommer, dem Zeitraum maximierter Verdunstung über die Vegetation, führt die häufigere und kleinräumigere Umsetzung des Wassers in der Einzugsgebietsfläche zu einer dauerhafteren Wasserspende an die Fließgewässer. Ausgeprägte sommerliche Niedrigwasserführungen werden weniger wahrscheinlich.
- Auch Extreme in der Hochwasserführung mit einsetzender Schneeschmelze im Frühjahr gehen zurück. Dies beruht zum einem auf dem erhöhten Speichervermögen der organischen Auflageschicht bis zu deren Wassersättigung für das Schmelzwasser, zum anderen auf der verbesserten Temperaturdämpfung: In der kühlen Jahreszeit begünstigt die vergrößerte Oberfläche vegetationsbedeckter Standorte Kondensationsprozesse (Erwärmung), wodurch das Auftreten von Bodenfrost weniger wahrscheinlich wird. Gerade dieser bewirkt in Zeiträumen einsetzender Schneeschmelze, insbesondere bei zusätzlichem Niederschlag, temporäre Abflußspitzen. Daneben kommt es auf vegetationsbedeckten Standorten zur langsameren Erwärmung der Fläche und damit zu einer allmählicheren Schneeschmelze. Zurückzuführen ist dies auf die verbesserte Kühlung der Fläche infolge von Interzeption (direkte Verdunstung der als Schnee auf der Vegetationsoberfläche gespeicherten Niederschläge). Die allmählichere Schmelze führt zur Verringerung der Hochwasserspitzen unter Verlängerung der Hochwasserführung.
- Unter der Vergleichmäßigung des Flächenabflusses einerseits und der verringerten Nährstoffmobilisation im Einzugsgebiet andererseits weisen die Fließgewässer deutlichere, jahreszeitlich geprägte Muster in den Stoffeinträgen auf: Stoffeintragsmuster
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Im Sommer führt die Maximierung dissipativer Verdunstungs- und Kondensationszyklen in der Einzugsgebietsfläche zur Minimierung der Nährstoffeinträge in die Fließgewässer.
- Die Nährstoffeinträge steigen dagegen im Herbst bis zum Frühjahr aufgrund der dann vergrößerten Abflüsse an. Die Eintragshöhe ist jedoch gering, da parallelisierte Auf- und Abbauprozesse im Sommer die Stoffverlagerungen mit dem ansteigenden Abfluß in der kühleren Jahreszeit minimieren. Hinzu kommt, daß nach Wassersättigung der oberflächennahen Detritusschicht der verlustarme Oberflächenabfluß im Verhältnis zur Versickerung überwiegt.
Zusammenfassung
- Mit zunehmendem Wirkungsgrad der ZKSen eines Einzugsgebietes verringern sich die räumlichen Temperaturgradienten. Mit der verbesserten Kühlung der Fläche erhöht sich dort die Kondensationswahrscheinlichkeit, Niederschläge treten somit häufiger auf. Anstelle großräumiger Kreisprozesse unterliegt das Wasser rückgekoppelt an den im Tag-Nacht-Rhythmus wirksamen Sonnenenergiepuls immer ortskonstanteren, kurzgeschlosseneren Zyklen. Diese dämpfen den zeitlichen Temperaturgradienten (Tag-Nacht-Temperaturunterschiede). Unter der verkürzten Zykluszeit des Wassers sind in der Einzugsgebietsfläche "parallelisierte" Prozesse von Stoffab- und -aufbau begünstigt, irreversible Verlagerungsprozesse in die Fließgewässer somit minimiert (Abb. 10).
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Abb. 10: Wasser- und Stoffkreislauf bei geringem und bei hohem Wirkungsgrad energiedissipativer Strukturen; (oben bzw. unten).
Standortunterschiede bezüglich Wasser- und Stoffhaushalt des Einzugsgebietes gleichen sich mit zunehmender Entwicklung der Vegetation und der mit ihr vergesellschafteten Organismen aus (Rückgang räumlicher Varianzen). Auch Gefälleunterschiede sind bei Rückgang des beschleunigten Abflusses durch die kleinräumige Verdunstungs- und Kondensationszyklen sowie die Entwicklung des organischen Bodenwasserspeichers (Detritus) weniger wirksam.
- Bildlich gesehen ist bei optimierter Temperaturdämpfung das zeitliche Energiemuster (jahreszeitlich geprägter Energiepuls) nahezu vollständig in eine räumliche Strukturierung umgesetzt (dissipativ wirkende Vegetation und mit ihr vergesellschaftete Organismen). Die Dynamik dieser Strukturen - ein aktiv betriebener Wasser- und Stofftransport - spiegelt sich in einer Vergleichmäßigung des Hydrographen sowie der Stoffeinträge in die Fließgewässer wider.
B.4. Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer - eine Entwicklung in Richtung maximaler Nachhaltigkeit
B.4.1. Die Morphologie
- Fließgewässer bilden Sammelrinnen ober- und unterirdischer Abflüsse und der darüber transportierten Stoffe. Daher können sie nicht losgelöst vom Wasserhaushalt und den daran gebundenen Stoffhaushalt der sie umgebenden Einzugsgebietsfläche betrachtet werden. Sie spiegeln ihn vielmehr über ihre Abfluß- sowie die morphologische und biozönotische Strukturdynamik wider, stellen daher einen Indikator für den landschaftlichen Wirkungsgrad dar.
- Im folgenden soll zunächst das Prinzip der Strukturbildung und -dynamik eines Fließgewässers beschrieben werden. Dabei wird verdeutlicht, daß die Wechselwirkung des Wassers mit der festen Materie (d.h. deren abflußabhängige Beschleunigung/Transport und Ablagerung bzw. Lösung, Transport und Ausfällung) stets morphologische Strukturen mit minimierter Dynamik zur Folge hat. Die Einnahme des stabilsten Zustandes unter der gegebenen Wasserbewegung ist Ergebnis energiedissipativer Prozesse zwischen Wasser und Substrat. Bei zurückgehenden Abflußschwankungen und Stoffeinträgen im raum-zeitlichen Strukturierungsprozeß des Einzugsgebietes durchlaufen daher auch die Fließgewässer eine gerichtete Entwicklung. Charakterisierbar ist diese durch eine zunehmende Verlangsamung des Materialtransports gegenüber der Wasserbewegung. Dadurch tragen Fließgewässer zur Verlustarmut der Landschaft bei.
B.4.1.1. Die Morphologie als energiedissipative Struktur
Triebfeder der morphologischen Dynamik nicht nur an Land, sondern auch im Fließgewässer bildet der im Tag-Nacht-Rhythmus wirksame Energiepuls. Er hält dissipative Verdunstungs- und Kondensationsprozesse und darüber einen ständigen Abfluß aufrecht. Durch die damit verbundenen Wechselwirkungen des Wassers mit der festen Materie setzt es die täglich wirksame Energie neben Verdunstung und Kondensation auch in Prozesse der räumlichen Strukturierung um. Wie im Einzugsgebiet7 erfolgen diese auch im Fließgewässer räumlich und zeitlich nicht zufällig:
-
An Orten und zu Zeiten beschleunigter Bewegung des Wassers führt seine Abbremsung an festen Grenzflächen zu einer geringfügigen Erhöhung seiner Temperatur, hauptsächlich aber zum Anstieg seiner Reaktivität (Dissoziationserhöhung/pH-Abfall). Verbunden damit steigt die Fähigkeit des Wassers zur Stofflösung8. Bei Verzögerung des Wassers, bedingt z.B. durch Aufweitung des Fließquerschnitts, sinkt seine Reaktivität. Eine vermehrte Ausfällung der in Lösung befindlichen Stoffe ist die Folge.
- Von entscheidenderer Bedeutung für die morphologische Strukturdynamik des Gerinnes jedoch ist der Transport von festen Stoffen. Mit der Abbremsung des Wassers an Festkörpern unterliegen diese in Abhängigkeit ihres Strömungswiderstandes einer Beschleunigung (Materialtransport, verbunden mit Materialabrieb bzw. Korrosion). Dort, wo das Wasser verzögert wird, lagert es die transportierten Stoffe nach Größe und Form sortiert wieder ab. Erosive und akkumulative Gewässerabschnitte sind das in der Struktur sichtbar werdende Ergebnis dieser Transporte.
Die Energie des fließenden Wassers beruht somit auf seiner Wechselwirkung mit der festen Materie (wechselseitige Beschleunigung/Verzögerung) und ist in der Dynamik morphologischer Strukturen wahrnehmbar: Bei Beschleunigung erodiert und löst das Wasser Stoffe, um sie bei Verzögerung wieder abzulagern bzw. auszufällen. Bildlich gesehen wird Energie aus einer Wechselwirkung über den Transport von Materie aufgenommen und räumlich sowie zeitlich phasenverschoben durch Ausfällung bzw. Akkumulation in eine räumliche Struktur umgesetzt (Energiedissipation bzw. Energieflußdichteabsenkung, vgl. Kap. B.1.1). Stets resultiert der energiedissipative Wechselwirkungsprozeß in der Einnahme des stabilsten Zustandes bzw. der stabilsten Lage der Materie bei gegebener Wasserbewegung. Eine maximale Verlangsamung des Stofftransportes gegenüber dem Wasserfluß ist die Folge.
Morphologische Vielfalt und Stabilität als sichtbares Ergebnis einer optimierten Energiedissipation
- Bei nahezu unveränderter Abflußhöhe spiegelt sich der Prozeß der Energiedissipation in einer zunehmenden Vielfalt und Stabilität der Fließgewässermorphologie wider:
- Infolge der Materialsortierung entwickeln sich weitgehend stabile Widerstände im Gewässerbett. Bei deren Um- und Überströmen unterliegt das Wasser einer lokalen Beschleunigung und Verzögerung, wahrnehmbar als Erhöhung seiner Turbulenz. Verbunden damit kommt es im Gerinne zu einer häufigeren und kleinräumigeren Geschwindigkeitsänderung des Wassers (Abb. 11). Die engräumigeren Fließgeschwindigkeitsgradienten verkürzen die Verlagerungsstrecken im weiteren Sortierprozeß. Erkennbar werden sie neben einem dichteren Wechsel der Gewässertiefe und -breite auch in einer dichteren Abfolge unterschiedlicher Korngrößen im Partikelspektrum. Die Vielfalt morphologischer Strukturen steigt.
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Abb. 11: Rückgang von Materialtransporten zugunsten der Turbulenz des Wassers bei der Selbststrukturierung des Gewässers.
- Bei unveränderter Abflußhöhe führt die fortschreitende Materialsortierung zur Maximierung weitgehend stabiler Strömungswiderstände. Großräumige Materialtransporte gehen somit immer mehr zugunsten kleinräumiger Wasserturbulenzen entlang der Oberflächen zurück. Einher geht die erhöhte Turbulenz des Wassers mit einem Anstieg seiner Temperatur und Dissoziation (Stofflösungsvermögen). Die über diese Entwicklung herabgesetzten Materialverlagerungen einerseits sowie die sich verkürzenden Verlagerungsstrecken andererseits verlangsamen zunehmend den Stofftransport gegenüber der Wasserbewegung. Sichtbares Ergebnis dieses energiedissipativen Strukturierungsprozesses ist daher neben einer hohen Vielfalt der Fließgewässermorphologie auch deren minimierte Dynamik.
Das Prinzip der Energiedissipation kann der Entwicklung sämtlicher Strukturen eines Fließgewässers zugrundegelegt werden. Dabei wiederholen sich die Strukturen in Abhängigkeit von Gefälle- und Substratverhältnissen sowie der Menge des abfließenden Wassers auf den verschiedensten räumlichen Ebenen in selbstähnlicher Form (fraktale Struktur):
Die Fließgewässerentwicklung in Richtung maximaler Strukturvielfalt und -stabilität kann auch als Prozeß der Selbstoptimierung bzw. Nachhaltigkeitssteigerung charakterisiert werden. Dieser ist jedoch nicht losgelöst von dem des zugehörigen Einzugsgebietes zu betrachten. Bei sich optimierendem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen (Kap. B.3) sinken Abflußschwankungen. Schwankungen im Abfluß werden als zeitliche Beschleunigung und Verzögerung des Wasserflusses wirksam und koppeln daher die Prozeßdynamik im Gerinne zurück: Hohe Abflußschwankungen gehen mit einer hohen morphologischen Strukturdynamik einher. Bei nur geringen Abflußschwankungen dagegen resultieren die Materialtransporte in einem zunehmend hochstrukturierten Gewässer mit erhöhter morphologischer Stabilität. Hierauf soll im folgenden näher eingegangen werden.
B.4.1.2. Selbstoptimierungsprozeß bei geringem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
Bei geringem Wirkungsgrad der ZKSen des Einzugsgebietes sind Stoffeinträge in die Fließgewässer sowie Schwankungen im Abfluß maximiert (hohe Abflußvarianz, Kap. B.3.1). Durch ausgeprägte Abflußspitzen bestehen in Abhängigkeit von Gefälle und Rauhigkeit des Sohlsubstrats große räumliche Gradienten in der Fließgeschwindigkeit des Wassers. Durch die extremen Schwankungen im Abfluß sind außerdem ausgeprägte zeitliche Gradienten in der Fließgeschwindigkeit gegeben. Die unter diesen Randbedingungen stoffverlustreiche Energiedissipation im Fließgewässer spiegelt sich in charakteristischer Weise in den Gewässerbettstrukturen sowie deren Dynamik wider.
Stofftransporte bei der energiedissipativen Wechselwirkung zwischen Wasser und Substrat
In Zeiträumen mit extremen Abflußanstieg liegen rückgekoppelt an die Geomorphologie große räumliche Fließgeschwindigkeitsgradienten im Gerinne vor. Intensive und weiträumige Materialtransporte zur Verringerung der Gradienten sind begünstigt. Zeitgleich dominieren dadurch über weite Gewässerabschnitte hinweg Erosionsprozesse:
- In gefällereicheren Gewässerabschnitten dominiert bei einem Abflußanstieg die Erhöhung der Fließgeschwindigkeit gegenüber der des benetzten Fließquerschnitts bzw. Wasserstandes. Mit der Beschleunigung des Wassers sinkt der Strömungswiderstand vorhandener Gewässerbettstrukturen. Ihre teilweise oder vollständige Erosion wird begünstigt.
- Weitgehend stabile Ablagerungen des im Gewässer erodierten und auch des eingeschwemmten Materials entwickeln sich hauptsächlich dort, wo bei einer Abflußerhöhung die Fließgeschwindigkeit zugunsten einer Vergrößerung des benetzten Fließquerschnitts zurückgeht. Beispiele solcher geomorphologisch beeinflußter Wasserverzögerung bilden nicht nur gefälleärmere Gewässerabschnitte, sondern auch Zusammenflüsse. In ihnen liegt ein im Verhältnis zu den einmündenden Einzelgerinnen verbreiterter Fließquerschnitt vor, was einer Gefälleminderung gleichkommt. Zusätzlich verzögert wird das Wasser durch seinen in diesen Abschnitten begünstigten Uferübertritt.
Abb. 13: Veränderungen des Rheinlaufs bei Karlsruhe bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts; (aus: Endlich 1985).
Bei ausgeprägten Abflußspitzen unterliegt das Wasser somit einer großräumigen Beschleunigung und Verzögerung. Prozesse von Erosion und Akkumulation sind erhöht und erfolgen räumlich vermehrt voneinander getrennt (sequentiell). Der Stoffrückhalt im Fließgewässer ist minimiert. Wahrnehmbar werden die temporär intensiven und weiträumigen Materialtransporte über die rasche morphologische Dynamik des Gerinnes:
-
In den Bereichen beschleunigter Wasserbewegung spiegeln sich die Transporte je nach Ausmaß des Gefälles in einer vermehrten Tiefen- und Breitenerosion wider, einhergehend mit der Streckung oder auch Verlegung des Gewässerlaufs (Abb. 13).
- In den gefälleärmeren Bereichen mit Wasserverzögerung dominiert die Akkumulation des transportierten Materials, weshalb sie erste Stoffsenken im Fließgewässer darstellen. In der morphologischen Strukturdynamik sichtbar werden diese Prozesse durch Sohlaufhöhungen unter Verbreiterung des Fließquerschnitts, aber auch durch die Ausbildung natürlicher Uferdämme oder mächtiger Auelehmschichten in den Überflutungsbereichen (Abb. 14).
Funktional betrachtet resultieren die großräumigen Materialtransporte stets in Strukturen, bei denen der Stofftransport maximal gegenüber der Wasserbewegung verlangsamt ist (Prinzip der Dissipation, vgl. Kap. B.1.1). Erkennbar wird dies, wie vorausgehend beschrieben, durch die Entwicklung erster weitgehend stabiler Strukturen in den geomorphologisch beeinflußten Verzögerungsbereichen des Wassers. Gleichzeitig verringert die gefällemindernde Wirkung von Erosion und Akkumulation die räumlichen Fließgeschwindigkeitsgradienten und damit auch die Intensität der Materialtransporte in den Beschleunigungsbereichen.
-
Abb. 14: Natürliche Dämme und Flußaue in einer Tiefebene; (aus: Endlich 1985).
- Der Wassertransport in Abhängigkeit der energiedissipativen Wechselwirkung zwischen Wasser und Substrat
Großräumige Fließgeschwindigkeitsgradienten bei Abflußspitzen haben nicht nur einen geringeren Stoffrückhalt zur Folge. Vielmehr liegen in Zeiträumen mit großräumiger Beschleunigung des Wassers auch kurze Abflußzeiten zu den Hauptvorflutern der Niederungen vor. Der Wasserrückhalt im Gerinne ist minimiert. Rückgekoppelt an die hohe Abflußvarianz treten dadurch ausgeprägte Schwankungen des Wasserspiegels auf:
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In den gefällereicheren Lagen geht der beschleunigte Abfluß mit einem raschen und intensiven Wasserspiegelabfall zwischen Niederschlagsereignissen einher. Extrem geringe Wasserstände in der Mittel- und der Niedrigwasserführung sind dadurch wahrscheinlicher. Das Gewässer entfaltet dadurch eine entwässernde Wirkung auf seine Umgebung. Hohe Sickerwasserbewegungen lassen die angrenzende Landschaft kurzfristig nach Niederschlagsereignissen wieder austrocknen. Damit verbunden liegt eine hohe Wechselfeuchte des Bodens vor. Eine beschleunigte Nährstoffauswaschung und demzufolge rasche Nährstoffverarmung ist die Folge.
- Durch die Wasserbeschleunigung in den gefällereicheren Lagen werden in den flacheren Bereichen mit verzögerter Wasserbewegung schon bei geringem Abflußanstieg ausgeprägte Wasserstandserhöhungen begünstigt. Häufige Uferübertritte sind die Folge. Die Extreme in der Niedrigwasserführung sind jedoch gegenüber den gefällereicheren Lagen geringer, da es bei sinkendem Wasserspiegel zu einer Wasserspende aus den angrenzenden Überflutungsflächen kommt. In den entstehenden Flußauen dieser Lagen bilden sich durch den Feinsedimenteintrag über die Zeit hinweg mächtige Auelehmenschichten. Die feinkörnigen Hochwasserablagerungen aus Feinsand, Schluff und Ton setzen die Wasserleitfähigkeit des Bodens herab und verlängern dadurch seine Feuchtphasen. Neben Feinsedimenten werden auch vermehrt Nährstoffe akkumuliert. Die Gewässerumgebung dieser Lagen wird somit nicht nur feuchter, sondern auch nährstoffreicher (vgl. Abb. 14).
- Strukturstabilität und -vielfalt in Abhängigkeit der energiedissipativen Wechselwirkung
Infolge der hohen zeitlichen Gradienten in der Fließgeschwindigkeit des Wassers unterliegen auch die Prozesse von Erosion und Akkumulation einer vermehrten zeitlichen Trennung. Dabei führt der häufige Wechsel zwischen Zeiträumen intensiver, weiträumiger Materialtransporte (Wasserbeschleunigung bei Abflußanstieg) mit solchen minimierter Materialtransporte (Wasserverzögerung bei Abflussrückgang) zu einer hohen morphologischen Dynamik im Gerinne. Sie spiegelt sich in dem geringen Strukturierungsgrad des Fließgewässers wider9:
- Breiten-Tiefen-Varianz
Anhand des Wechsels der Gewässertiefe und -breite sind die Erosions- und Akkumulationszonen und darüber die Länge der Transportstrecken wahrnehmbar. Sie werden neben Untergrundbeschaffenheit, Gefälle und Größe des Gewässers entscheidend durch die Abflußschwankungen beeinflußt:
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Mit steigenden Extremen in den Abflußspitzen vergrößern sich die räumlichen Gradienten in der Fließgeschwindigkeit des Wassers. Die Materialverlagerungsstrecken werden verlängert, d.h. Erosion und Akkumulation vermehrt räumlich voneinander getrennt. Verbunden damit ist ein Rückgang in der Breiten-Tiefen-Varianz sowohl im Längs- als auch im Querverlauf des Fließgewässers.
- Aufrechterhalten wird die geringe Breiten-Tiefen-Varianz durch die Extreme in der Niedrigwasserführung. Zugrunde liegt dem, daß mit Verzögerung des Wassers im gesamten Gerinnelängsverlauf auch seine Wechselwirkung mit den festen Oberflächen sinkt. Intensität und Verlagerungsstrecken im Materialtransport gehen zurück, der Strukturaufbau erfolgt entsprechend verlangsamt. Insbesondere in den gefälleärmeren Lagen, die gegenüber den steileren bei Abflußrückgang eine ausgeprägtere Fließgeschwindigkeitsverringerung aufweisen, umfaßt der minimierte Stofftransport hauptsächlich nur noch Feinmaterial. Die dabei entwickelten Strukturen stellen keine großen Strömungswiderstände dar und werden bei Abflußanstieg rasch wieder erodiert. Die Breiten-Tiefen-Varianz bleibt somit gering.
- Partikelspektrum
Die Zusammensetzung des Partikelspektrums wird neben der Geomorphologie des Einzugsgebietes (Gefälle, Bodenart) ebenfalls entscheidend von der Abflußvarianz bestimmt. Hohe zeitliche und demzufolge auch räumliche Fließgeschwindigkeitsgradienten werden bei der Materialsortierung in der Homogenität des Partikelspektrums sichtbar:
-
In Zeiträumen extremer Abflußspitzen bleibt in gefällereicheren Lagen durch die beschleunigte Wasserbewegung hauptsächlich gröberes Material zurück. Demgegenüber dominieren im Partikelspektrum der gefälleärmeren Gewässerabschnitte die feineren Stoffe. Mit ihrer vorwiegenden Sedimentation in diesen Wasserverzögerungsbereichen überdecken sie das dort vorhandene grobpartikulärere Material. Nur bei großräumigen Fließgeschwindigkeitsgradienten, einhergehend mit hohen (Fein-)Materialeinträgen aus der umgebenden Einzugsgebietsfläche, entstehen daher in diesen Gewässerabschnitten mächtige Lehmschichten in der Gewässersohle sowie in den Überflutungsräumen (Auelehm) oder herrschen organische Stoffe im Partikelspektrum vor.
- Aufrechterhalten wird die Homogenität des Partikelspektrums der gefälleärmeren Gewässerabschnitte durch ausgeprägte Niedrigwasserführungen. Die extreme Fließgeschwindigkeitsverringerung minimiert die Wechselwirkungen zwischen Wasser und Substrat. Zeitgleich findet dadurch weiträumig eine vermehrte Akkumulation des in der Transportphase befindlichen feineren Materials statt. Es überdeckt die bereits abgelagerten gröberen Partikel. Aufgrund fehlender kleinräumiger Fließgeschwindigkeitsgradienten im Gewässerbett (geringe Breiten-Tiefen-Varianz als Folge temporär großräumiger Wasserbeschleunigung und -verzögerung) bleibt es dominierend an der Oberfläche des Partikelspektrums. Ausgeprägte zeitliche Fließgeschwindigkeitsgradienten spiegeln sich somit weniger in einer horizontalen, als in einer vertikalen Korngrößensortierung wider. In den gefällereicheren Gewässerabschnitten allerdings geht die vertikale zugunsten der horizontalen Materialsortierung zurück. Aufgrund der dort beschleunigten Wasserbewegung liegen auch in Zeiträumen geringerer Abflußhöhe entlang stabilen Strömungswiderständen räumliche Gradienten in der Fließgeschwindigkeit vor. Eine fortschreitende Materialsortierung entlang dieser Gradienten ist die Folge (vgl. Abb. 15, 16).
- Benetzter Fließquerschnitt (Strömungswiderstand) bei Hoch- und Niedrigwasser
Über den benetzten Umfang läßt sich der Strömungswiderstand10 im Gewässerbett beschreiben. Seine Schwankung bei Hoch- und Niedrigwasser ermöglicht Rückschlüsse auf die Materialtransporte und darüber auf die räumlichen Fließgeschwindigkeitsgradienten im Gerinne:
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Hohe Schwankungen des Strömungswiderstandes zwischen Hoch- und Niedrigwasser liegen in Gewässern mit aufgeweiteten und abgeflachten Profilen vor. In ihnen wird schon bei geringem Abflußanstieg ein Uferübertritt begünstigt, der Strömungswiderstand durch die Gewässeraue dabei maximiert. Dadurch werden selbst in Zeiträumen mit maximaler Abflußhöhe geringe räumliche Gradienten in der Fließgeschwindigkeit des Wassers aufrechterhalten.
- Eine nur geringe Schwankung des Strömungswiderstandes bei Hoch- und Niedrigwasser ist dagegen bei fehlendem Uferübertritt des Wassers gegeben. Seine unzureichende Verzögerung bei Abflußspitzen führt rückgekoppelt an die Gefälleverhältnisse zu großräumigen Fließgeschwindigkeitsgradienten und demzufolge intensiven Materialtransporten im Gerinne. Am geringsten ist dabei der Strömungswiderstand in den gefällereichen Abschnitten. Ausgeprägte Erosionsmerkmale, wie z.B. Sohleintiefung, sind das wahrnehmbare Ergebnis der dort erhöhten Transporte. Dauerhaft vergrößert ist der Strömungswiderstand erst in den gefälleärmeren Gewässerbereichen mit verzögerter Wasserbewegung, was in dem dort verbreiterten Fließquerschnitt sichtbar wird. Er ist jedoch auch in diesen Bereichen nicht optimal, bedingt durch die geringe Rauhigkeit des Sohlsubstrats (Akkumulation von Feinmaterial, s. Pkt. vorher). Bei ausgeprägter Abflußerhöhung ist daher auch dort eine fortschreitende Materialumlagerung in Richtung der Flußmündung wahrscheinlich.
Die bei hoher Abflußvarianz temporär großräumigen Fließgeschwindigkeitsgradienten prägen somit die Gerinnemorphologie: Sequentielle Prozesse von Erosion und Akkumulation sind begünstigt und werden über die Homogenität der Strukturen wahrnehmbar. Zwar steigt die Vielfalt zwischenzeitlich bei Abflußrückgang an, da dann kleinräumigere Fließgeschwindigkeitsgradienten entlang der Materialakkumulationen vorherrschen. Doch werden die dabei entwickelten Strukturen unter der großräumigeren Wasserbeschleunigung bei erneutem Abflußanstieg wieder vollständig oder teilweise erodiert. Eine hohe Dynamik unter weitgehendem Erhalt der Homogenität der Morphologie ist die Folge.
Die zeitlichen Gradienten in der Fließgeschwindigkeit des Wassers können auch als zeitliches Energiemuster betrachtet werden, welches durch Prozesse von Erosion und Akkumulation in die räumliche Struktur des Gewässers umgesetzt wird (Energiedissipation, Kap. B.4.1). Bei hoher Schwankung dieses Energiemusters (meßbar als hohe Abflußvarianz) liegt eine hohe Prozeßdynamik im Gerinne vor. Sie spiegelt sich in einer geringen Vielfalt und hohen Dynamik der Strukturen wider.
B.4.1.3. Selbstoptimierungsprozeß bei optimalem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
Mit zunehmendem Wirkungsgrad der ZKSen im Einzugsgebiet sinken Stoffeinträge in die Fließgewässer, Schwankungen im Abfluß werden minimiert. Ausgeprägte zeitliche Fließgeschwindigkeitsgradienten gehen (zusammen mit den räumlichen) zurück und können in dem sich strukturierendem Gerinne ohne weiträumige Materialtransporte weiter vergleichmäßigt werden. Die stoffverlustarme Energiedissipation ist in charakteristischer Weise in den Gewässerbettstrukturen und deren Dynamik erkennbar.
- Stofftransporte bei der energiedissipativen Wechselwirkung zwischen Wasser und Substrat
Bei nur geringer Abflußschwankung maximiert sich durch fortschreitende Materialsortierung im gesamten Längsverlauf des Fließgewässers der Strömungswiderstand. Zusätzlich erhöht wird er durch die Akkumulation abgestorbenen Pflanzenmaterials (z.B. Totholz) sowie die Oberflächen wurzelnder Wasserpflanzen (Makrophyten). Einher geht die Maximierung des Strömungswiderstandes mit einer häufigeren und kleinräumigeren Geschwindigkeitsänderung des Wassers (Abb. 15, 16).
Verbunden mit der kleinräumigeren Geschwindigkeitsänderung des Wassers entlang stabiler Oberflächen ist ein Anstieg seiner Fähigkeit zur Stofflösung (meßbar als Dissoziationserhöhung an der festen Grenzfläche, Kap. B.4.1.1). Prozesse von Erosion und Akkumulation werden dagegen verringert und erfolgen entsprechend den kleinräumigeren Fließgeschwindigkeitsgradienten räumlich weniger voneinander getrennt ("parallelisiert"). Eine maximale Verlangsamung des Stoffflusses gegenüber der Wasserbewegung ist somit Folge des energiedissipativen Selbststrukturierungsprozesses im Gerinne.
Abb. 15: Strömungswiderstand durch Grobsubstrat; (in Lagen erhöhten Gefälles): Durch die beschleunigte Wasserbewegung bleibt im Sortierprozeß gröberes Material zurück. Diese Strömungswiderstände führen zur Ausbildung hoher Fließgeschwindigkeitsgradienten auf engstem Raum: An den angeströmten Oberflächen verringert sich die Fließgeschwindigkeit in Richtung 0 (Prandtlsche Grenzschicht G), wogegen rückseitig der Hindernisse eine turbulent durchmische Totwasserzone (T) entsteht (nach Uhlmann 1975, verändert).
Abb. 16: Strömungswiderstand durch Wasservegetation und sortiertes Feinmaterial; (in Lagen geringeren Gefälles): Durch Wasserverzögerung am Bestand sedimentiert Material in dessen Inneren und im Strömungsschatten. Während durch den Wasserstern (Callitriche) lockere organische Stoffe zurückgehalten werden, begünstigen Wasserhahnenfuß und Wasserpest (Elodea) auch Sandablagerungen. Mit dem Wachstum der Vegetation und der Sedimentschicht verkleinert sich die darüberliegende Freiwasserzone. Dort wird das Wasser beschleunigt, was seitlich und nach dem Hindernis die Wasserturbulenz erhöht. Sohlerosion (erkennbar an der Mulde) und Seitenerosion (erkennbar an der stets beobachtbaren "Inselbildung" der Vegetation) sind das in der Struktur sichtbar werdenden Ergebnis dieser kleinräumigen Fließgeschwindigkeitsgradienten (nach Uhlmann 1975, verändert).
- Der Wassertransport in Abhängigkeit der energiedissipativen Wechselwirkung zwischen Wasser und Substrat
Der Rückgang großräumiger Beschleunigungen und Verzögerungen des Wassers zugunsten häufigerer und kleinräumigerer Geschwindigkeitsänderungen entlang stabiler Oberflächen verbessert auch den Wasserrückhalt im Gerinne (Verzögerung des Wasserflusses). Eine Dämpfung der zeitlichen Abflußschwankung und damit minimierte Wasserspiegelschwankungen im Jahresverlauf sind die Folge.
Strukturstabilität und -vielfalt in Abhängigkeit der energiedissipativen Wechselwirkung
Nur geringe Abflußschwankungen stellen ein zeitlich weitgehend stabiles Energiemuster dar. Dieses kann durch kleinräumige Materialtransporte in eine weitgehend stabile Struktur des Gewässerbettes umgewandelt werden. Die hohe Übereinstimmung zwischen zeitlichem Energiemuster und räumlichen Stoffmuster in Form der Gewässerbettstruktur ist neben einer minimierten morphologischen Veränderungsdynamik auch in einer hohen Vielfalt der Strukturen wahrnehmbar:
- Breiten-Tiefen-Varianz
Entsprechend den kleinräumigeren Fließgeschwindigkeitsgradienten resultiert der Materialtransport in einem häufigeren Wechsel erosiver und akkumulativer Zonen im Längs- und auch im Querverlauf des Fließgerinnes. Erkennbar wird dies in einer dichteren Abfolge aufgeweiteter, flacher und verengter, tieferer Abschnitte. Die Breiten-Tiefen-Varianz ist maximiert.
- Partikelspektrum
Die kleinräumigeren Fließgeschwindigkeitsgradienten führen im Sortierprozeß zu einer dichteren Abfolge unterschiedlicher Korngrößen im Partikelspektrum. Dies spiegelt sich auf den verschiedensten räumlichen Betrachtungsebenen wider. Beispielsweise sortiert sich im Strömungsschatten eines gröberen Partikels oder einer Wasserpflanze auch feineres Material. Ebenso entwickeln bei geringer Abflußschwankung die Mäander eine maximale Stabilität. Entsprechend der Wasserbeschleunigung und -verzögerung entlang dieser Struktur ist auch hier eine Sortierung des Materials nach Korngröße zu beobachten (Abb. 17):
Abb. 17: In einem Mäander vollzieht sich die Fließgeschwindigkeitsänderung; in zwei Richtungen. Die eine erfolgt im seitlichen Ausschwingen des Wassers. Sie wird in den Kolken (Ergebnis einer Erosion durch Wasserbeschleunigung) sowie Furten (Ergebnis einer Akkumulation infolge von Wasserverzögerung) sichtbar. Eine weitere Geschwindigkeitsänderung erfolgt durch eine Querzirkulation am Prallhang (vgl. Schnitt A-A'). Dort taucht beschleunigtes Oberflächenwasser unter und gelangt unter Verzögerung seiner Bewegung am gegenüberliegendem Gleithang bzw. auch weiter flußabwärts wieder auf. Bei geringer Abflußschwankung sortiert sich das Material entlang dieser Fließgeschwindigkeitsgradienten (vgl. Schnitt A-A' am Beispiel eines Niederungsflusses) (nach Uhlmann 1975, Köhler 1985, verändert).
Aufrechterhalten wird die hohe Vielfalt im Partikelspektrum durch die nur geringe Abflußschwankung (geringer zeitlicher Fließgeschwindigkeitsgradient). Unter dieser Randbedingung besitzen die entwickelten Strömungswiderstände eine maximale Stabilität. Die Breiten-Tiefen-Varianz des Gewässers und damit auch die kleinräumigen Fließgeschwindigkeitsgradienten bleiben weitgehend erhalten. Ein hochstrukturiertes Gewässer mit einem optimal verlangsamten Stofftransport ist die Folge. Dies soll am Beispiel der morphologischen Dynamik eines mäandrierenden Gerinnes verdeutlicht werden:
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In Zeiträumen erhöhter Abflüsse verlaufen kleinräumige Fließgeschwindigkeitsgradienten von den Kolken (Wasserbeschleunigung) zu den Furten (Wasserverzögerung). Gleichzeitig wird durch die Querzirkulation des Wassers in den Flußkrümmungen auch der Fließgeschwindigkeitsgradient vom Prallhang (Wasserbeschleunigung) zum Gleithang (Wasserverzögerung) vermehrt wirksam. Kolkeintiefung sowie Aufhöhung der Furten und Gleithänge sind wahrnehmbares Ergebnis der Materialtransporte zur Verringerung dieser Gradienten.
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Mit sinkendem Wasserspiegel kehrt sich der Fließgeschwindigkeitsgradient um. Er verläuft dann von den erhöhten Furten (Wasserbeschleunigung) in Richtung der tieferen Kolke (Wasserverzögerung), wo sich der Abfluß in Zeiträumen geringer Wasserführung konzentriert. Folge ist zum einen eine allmähliche Aufhöhung der Kolke bei gleichzeitiger Abflachung der Furten. Der so durch Materialtransporte verringerte Fließgeschwindigkeitsgradient geht mit einer fortschreitenden Korngrößensortierung einher. Wahrnehmbar ist sie in der zunehmenden Dominanz zurückbleibenden gröberen Substrats in den Furten gegenüber der Akkumulation feineren Substrats in den Kolken. Zum anderen kommt es mit der Umkehrung des Fließgeschwindigkeitsgradienten zu einer Umlagerung der Sandbänke an den Gleithängen der Flußkrümmungen. Geschiebeabtrag am Beginn einer Bank (nun im Bereich der Wasserbeschleunigung) und Ablagerung an ihrem Ende (Bereich der Wasserverzögerung), lassen die Bänke allmählich wandern.
Benetzter Fließquerschnitt (Strömungswiderstand) bei Hoch- und Niedrigwasser
- Kleinräumige Fließgeschwindigkeitsgradienten sind Ergebnis einer fortgeschrittenen Materialsortierung und damit Zeichen eines maximierten Strömungswiderstandes im Gewässerbett (Prinzip der Dissipation, Kap. B.4.1.1). Deutlich sichtbar wird der maximierte Strömungswiderstand an der Vergrößerung des benetzten Fließquerschnitts.
Hervorzuheben ist dabei jedoch, daß der Strömungswiderstand und damit die "Dissipativität" (Verhältnis zwischen Materialtransport einerseits und kleinräumiger Beschleunigung und Verzögerung des Wassers entlang stabiler Oberflächen andererseits) natürlicherweise im Längsverlauf des Fließgewässers schwankt: Im gefällereichen Oberlauf ist zwar die abfließende Wassermenge geringer und die Rauhigkeit des Sohlsubstrats größer als im gefälleärmeren Mittellauf, doch liegt aufgrund der höheren Fließgeschwindigkeit ein beschleunigterer Materialtransport vor. Folglich steigt die Dissipativität vom Ober- zum Mittellauf hin an. Sie verringert sich dagegen wieder im Unterlauf des Fließgewässers. Hier verkleinert sich der Strömungswiderstand des Gewässerbettes aufgrund der größeren Wassertiefe und der geringeren Rauhigkeit des Sohlsubstrats (Dominanz von Feinsubstrat infolge des Materialabriebs und der geringen Fließgeschwindigkeit). Kleinräumige Fließgeschwindigkeitsgradienten entlang stabiler Oberflächen gehen gegenüber dem Mittellauf zurück, wodurch ein erhöhter Materialtransport mit der fließenden Welle begünstigt wird.
B.4.1.4. Grundlagen einer funktionalen Strukturanalyse
Funktional charakterisiert wurde die raum-zeitliche Selbststrukturierung der Gewässer als Entwicklung in Richtung maximaler Energieflußdichteabsenkung bzw. - durch die dabei minimierten Stoffverlagerungen - auch als nachhaltigkeitssteigernder Prozeß. Innerhalb dieses raum-zeitlichen Entwicklungsprozesses eines Fließgewässers spiegelt dessen Strukturierungsgrad die jeweilige Phasenlage, d.h. den Grad der Energieflußdichtesenkung wider:
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Intensive Materialtransporte bei der dissipativen Wechselwirkung zwischen Wasser und Substrat sind Zeichen einer hohen Energieflußdichte im Gewässer. Der Wirkungsgrad vorhandener Gewässerbettstrukturen, zu definieren über ihre Dauerhaftigkeit im Dissipationsprozeß (Erosionsbeständigkeit), ist nur gering. Wahrnehmbar ist er in der hohen morphologischen Dynamik sowie der geringen Vielfalt an Strukturen (Kap. B.4.1.1).
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Minimierte, kleinräumige Materialtransporte bei der dissipativen Wechselwirkung zwischen Wasser und Substrat sind Zeichen einer geringen Energieflußdichte im Gerinne. Der Wirkungsgrad vorhandener Gewässerbettstrukturen ist hoch, was sich in der geringen morphologischen Dynamik sowie im hohen Strukturierungsgrad des Fließgewässers widerspiegelt (Kap. B.4.1.1).
- Eine solche funktionale, d.h. prozeßorientierte Strukturanalyse ermöglicht somit eine Abschätzung der Stofftransporte bei der Energiedissipation im Fließgewässer. Deutlich wird, daß eine stoffverlustarme Energiedissipation und eine dauerhaft hohe Vielfalt und Stabilität der Morphologie einander bedingen. Die stoffverlustarme Funktionsweise eines Gewässers und damit dessen Nachhaltigkeit muß daher oberste Priorität im Bewertungs- und auch im zugrundeliegenden Leitzielsystem zur Strukturgüteverbesserung besitzen (Kap. B.5).
B.4.2. Die Fließgewässerzönosen
Analog zu den Zönosen in der Einzugsgebietsfläche können die der Fließgewässer zusammen mit ihrem Standort als energiedissipative Funktionseinheit (ZKS) beschrieben werden. Über stoffliche Kreisprozesse (Produktion-Respiration) setzt sie den täglich wirksamen Energiepuls um, welcher im beschatteten Gewässer auch als Eintrag energiereicher Substanzen wirksam wird (z.B. NH3, NH4, abgestorbenes Laub). Auch im Fließgewässer durchlaufen die dissipativen Strukturen einen Selbstoptimierungsprozeß, der jedoch rückgekoppelt an den der ZKSen an Land erfolgt: Mit zurückgehenden Einträgen stofflicher Energieträger über den Abfluß aus dem Einzugsgebiet werden im Fließgewässer durch engräumigere, raschere Nahrungsbeziehungen die Stoffkreisläufe kurzgeschlossener. Der beschleunigte und kleinräumigere Stoffumsatz ermöglicht eine optimale Ausnutzung der in organischer Substanz gespeicherten Energie und bildet damit Grundlage einer maximalen Lebensdauer der Fließgewässer-ZKS im Jahresverlauf. Folge dieses Selbststrukturierungsprozesses ist eine zunehmende Trennung zwischen Nährstoff- und Wasserfluß. Auf diese Weise tragen auch die Zönosen der Fließgewässer zur Verlustarmut des gesamten Einzugsgebietes bei.
B.4.2.1. Die Fließgewässer-ZKS als energiedissipative Struktur
Im Fließgewässer wird die im Tag-Nacht-Rhythmus gepulste Energie - insbesondere bei hoher Beschattung - vermehrt als jahreszeitlich geprägter Eintrag energiereicher Stoffe wirksam. Zu diesen Stoffen gehören z.B. abgestorbenes Laub sowie die mit dem steigenden Flächenabfluß im Herbst und Frühjahr gelöst eingetragenen organischen (z.B. Glucose) und anorganischen (z.B. NH4) reduzierten Substanzen. Unter der jahreszeitlich gepulsten Zufuhr an Energieträgern kann der Aufbau energiereicher Substanz (Produktion) dem Stoffabbau durch die heterotrophen Organismen (Respiration) zeitlich - und demnach auch räumlich - nachgeordnet werden. Das energiedissipative Wirkungsgefüges einer Fließgewässer-ZKS läßt sich daher in folgender Reihenfolge beschreiben (Abb. 18):
Abb. 18: Die Fließgewässer-ZKS; schematisch (links) und am Beispiel einer Aufwuchs-Struktur (rechts).
- Der Detritus, bestehend aus allochthonem (eingeschwemmten) und autochthonem (gewässereigenem) organischen Material, stellt im Fließgewässer den wesentlichen Energieträger dar.
- Die Destruenten (hauptsächlich Bakterien) zersetzen den Detritus und nutzen die darin gespeicherte Energie für ihre Lebensprozesse (Wachstum, Reproduktion). Bei dem hohen Transportvermögen des Wassers im Gerinne gewährleistet die kurze Umsatzzeit der Bakterien die rasche Einschleusung der in organischer Substanz gespeicherten Nährstoffe in die Nahrungskette.
- Die Produzenten bauen als Autotrophe oder Chemoautotrophe11 energiereiche organische Substanzen auf. Dabei werden im Wasser gelöste Nährstoffe durch Photosynthese der Autotrophen reduziert und in der Pflanzenbiomasse fixiert. Diatomeen beispielsweise dominieren als relativ temperaturunabhängige Schwachlichtalgen im Frühjahr, Grünalgen - vor allem Fadenalgen wie Cladophora - dagegen im Sommer. Zusätzliche Bedeutung besitzen die Produzenten in der räumlichen Strukturierung des Gerinnes: Insbesondere die höheren Wasserpflanzen (Makrophyten) stellen Strömungswiderstände dar, entlang denen das Wasser einer Geschwindigkeitsänderung unterliegt. Eine kleinräumige Materialsortierung entsprechend dem Fließgeschwindigkeitsgradienten ist die Folge.
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Die Konsumenten ermöglichen durch Bewirtschaftung (Fraß) der Organismen sämtlicher Trophiestufen einen dauerhaften Zuwachs im begrenzt besiedelbaren Raum des Fließgewässers. Auf diese Weise maximieren sie die energiedissipativen stofflichen Kreisprozesse von Produktion und Respiration innerhalb der ZKS (Maximierung der Gewässerproduktivität):
Die Bewirtschaftung der Destruenten erfolgt durch bakterien- und detritusfressende Organismen des Gewässergrundes bzw. des Benthos (Detritivore). Von Bedeutung dabei sind Wasserinsektenlarven und Schnecken als bakterien- und detritusfressendes Makrozoobenthos sowie Ciliaten als bakterienfressendes Mikrozoobenthos.
Höhere Konsumenten bewirtschaften die autotrophe und heterotrophe Ebene und zwar als Detritivore, Herbivore oder Carnivore, z.B. in Form detritus-, aufwuchs- oder organismenfressender Fische. Sie optimieren räumlich und auch zeitlich die Gewässerproduktivität durch ihren großen Aktionsradius einerseits sowie durch das Durchlaufen verschiedener Reifestadien unter Ausnutzung jahreszeitabhängiger Nahrungsquellen im Gewässer andererseits12. Gleichzeitig erfolgt durch höhere Konsumenten eine Einschleusung der Nährstoffe in langlebigere Zyklen. -
Das Wasser stellt verbindendes Transport- und Reaktionsmedium der einzelnen Ebenen im Wirkungsgefüge einer Fließgewässer-ZKS dar. Von Bedeutung ist außerdem sein ausgeprägter Fließgeschwindigkeitsgradient entlang den festen Oberflächen. Er erhöht die Sedimentationswahrscheinlichkeit organischer Substanz. Unterstützend hierauf wirkt auch die verstärkte Dissoziation des Wassers an der Phasengrenzfläche (meßbar als pH-Abfall). Sie begünstigt durch Ausflockung die Ablagerung organischer Substanz. Auf diese Weise sortiert das Wasser die Orte des Nahrungskettenaufbaus im Gewässer.
Die Entwicklung verlustarm funktionierender Fließgewässer-ZKSen steht in direktem Zusammenhang zur Selbstoptimierung in der zugehörigen Einzugsgebietsfläche. Nur bei hohem Wirkungsgrad der dortigen ZKSen sind Stoffeinträge in die Fließgewässer minimiert, gleichzeitig durch weitgehend stabile Oberflächen der Raum für pflanzlichen Aufwuchs sowie für Mikroorganismen maximiert. Unter diesen Randbedingungen entwickelt sich eine hoch strukturierte Zönose, die durch ihr rückgekoppeltes Zusammenwirken Stoffverluste mit dem Wasserfluß gering hält. Hierauf soll im folgenden näher eingegangen werden.
B.4.2.2 Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer-ZKS bei geringem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
In Zeiträumen extremer Abflußspitzen sind Stoffeinträge in die Fließgewässer maximiert, weitgehend stabile Oberflächen und damit Organismenhabitate dagegen kaum anzutreffen. Temporär dominiert über weite Strecken hinweg in der gesamten Freiwasserzone der Abbau energiereichen Materials. Raum- und zeitverschoben dazu ist bei Verzögerung des Wassers nicht nur eine vermehrte Akkumulation von unvollständig abgebauten Stoffen, sondern auch entsprechend der Belichtung eine intensive pflanzliche Produktion die Folge. Verbunden damit treten im Gerinne ausgeprägte Schwankungen des Sauerstoffgehaltes auf. Eine gering strukturierte Zönose mit hoher raum-zeitlicher Dynamik spiegelt die stoffverlustreiche Energiedissipation wider:
Stofftransporte bei der Energiedissipation in der Fließgewässer-ZKSBei geringem Wirkungsgrad der ZKSen im Einzugsgebiet liegen rückgekoppelt an den Abflußanstieg hohe Einträge an Nährstoffen sowie an stofflichen Energieträgern in die Fließgewässer vor. Großräumige Gradienten in der Fließgeschwindigkeit des Wassers begünstigen dabei den beschleunigten Transport des eingetragenen Materials (Kap. B.4.1.1). Dessen optimale Nutzung in der Fließgewässer-ZKS ist durch die rasche Organismenvermehrung gegeben. Produktion und Respiration nehmen zu, erfolgen aber vermehrt voneinander getrennt:
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An Orten und zu Zeiten verzögerter Wasserbewegung dominieren in der gesamten Freiwasserzone Respirationsprozesse des eingetragenen abbaufähigen Materials durch die Vermehrung planktischer, d.h. freischwebender Bakterien. Verbunden damit ist ein temporärer Abfall in dem Sauerstoffgehalt des Wassers. Das Vorkommen sauerstoffbedürftiger Konsumenten ist dadurch nur eingeschränkt möglich. Die Einschränkung lebensnotwendiger Standortvoraussetzungen kann auch als "Raumlimitierung" für die Organismen einer ZKS bezeichnet werden. Zwischen- und Endprodukte des Stoffabbaus sowie das Bakterioplankton unterliegen dadurch bei Abflußanstieg zum Großteil einer mehr oder weniger weiträumigen Verlagerung in Fließrichtung.
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Mit der Dominanz planktischer Abbauprozesse steigt insbesondere bei hohem Anteil leicht abbaubarer Substanzen die Fracht gelöster Nährstoffe. Sie begünstigt bei ausreichender Belichtung pflanzliche Produktionsprozesse. Sichtbar werden diese z.B. als Planktonblüte in strömungsärmeren Zonen, aber auch als intensiver Makrophytenzuwachs. Letzterer findet in größeren Gewässern hauptsächlich in dichten Röhrichtbeständen der Uferregionen, in kleineren Gerinnen dagegen in deren Verkrautung seinen Ausdruck. Bei steigender Selbstbeschattung kommt es jedoch zu einer zunehmenden Raumlimitierung für lichtbedürftige Produzenten13.
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Zusammen mit der Produzentenvermehrung steigt in den betreffenden Gewässerabschnitten der Strömungswiderstand und damit auch die Sedimentation organischer Substanz. Deren Mineralisation begünstigt sowohl in Zeiträumen herabgesetzter Wasserführung als auch bei nächtlich fehlender Phototsyntheseaktivität der Unterwasservegetation einen Sauerstoffabfall. Dabei entsteht ein vertikaler Sauerstoffgradient, dessen Werte im Gewässersediment am niedrigsten sind und im darüberliegenden Makrophytenbestand je nach Fließgeschwindigkeit und Intensität der Abbauprozesse mehr oder weniger rasch ansteigen14. Dieser räumliche und zeitliche Sauerstoffgradient wirkt nicht nur raumlimitierend für die Konsumenten, sondern auch für sauerstoffbedürftige Destruenten. Er kann demzufolge zu anaeroben und damit unvollständigerem Stoffabbau führen, verbunden mit erhöhten Materialverlagerungen in Zeiträumen steigender Abflüsse. Eine Fortsetzung dieses Prozesses in Fließrichtung des Gerinnes ist die Folge.
Mit zunehmenden Einträgen energiereicher Stoffe steigt somit die Entkopplung der Produzenten-, Konsumenten- und der Destruentenaktivität der Fließgewässer-ZKSen. Prozesse von Produktion und Respiration sind räumlich und zeitlich vermehrt voneinander getrennt, wodurch der Nährstoffrückhalt im Gerinne minimiert ist. Wahrnehmbar ist die Trennung der Prozesse durch die Schwankungen im Sauerstoffgehalt des Fließgewässers. Aussagekräftig für die Prozeßdynamik des Gerinnes ist dabei weniger die Betrachtung der Mittelwerte des Sauerstoffgehaltes als dessen Varianz15.
Eine ähnliche Entwicklung läßt sich auf Grundlage hoher Einträge gelöster Pflanzennährstoffe beschreiben. Entsprechend den Strömungs- und Belichtungsverhältnissen gehen sie mit einer intensiven Produzentenvermehrung in den Fließgewässern einher. Steigende Abbauprozesse aus abgestorbener pflanzlicher Biomasse sowie des durch die Makrophyten aus der fließenden Welle "ausgesiebten" Materials lassen auch hierbei den stark schwankenden Sauerstoffgehalt zum raumlimitierenden Faktor für die Heterotrophen (Konsumenten, Destruenten) werden. Erhöhte Verlagerungen unvollständig abgebauter Stoffe und damit eine vermehrte raum-zeitliche Trennung von Produktion und Respiration sind die Folge.
Die temporär in großen Mengen aus dem Einzugsgebiet eingeschwemmten Stoffe können als ein stark schwankendes zeitliches Energiemuster betrachtet werden. Dieses wird im Fließgewässer mit der ZKS in eine dynamische räumliche Struktur umgesetzt. Die Dissipation unter diesem Energiemuster erfolgt durch sequentielle Prozesse von Respiration und Produktion. Einher geht dies mit hohen Schwankungen nicht nur in der Biochemie (Sauerstoffgehalt), sondern auch in der Morphologie (instabile Substratverhältnisse durch intensive Akkumulation und Erosion organischer Substanz). Eine gering strukturierte Zönose, charakterisiert durch eine hohe raum-zeitliche Prozeßtrennung innerhalb ihres Wirkungsgefüges, ist Abbild dieser verlustreichen Energiedissipation im Fließgewässer.
Raum-zeitliche Vernetzung der Fließgewässer-ZKS
Bei hohen Einträgen stofflicher Energieträger sowie an Nährstoffen in die Fließgewässer ist eine raum-zeitlich stark entkoppelte Fließgewässer-ZKS gegeben. Erkennbar wird dies in der geringen Vielfalt und Stabilität zönotischer Strukturen:
Die effizienteste Nutzung organischer Substanz innerhalb der Nahrungskette besteht, wie vorhergehend beschrieben, in der temporären Destruentenvermehrung mit raum-zeitlich verschobener Produzenten- und auch Konsumentenzunahme. Bei gelöst eingetragen Nährstoffen besteht sie in der Produzentenvermehrung mit raum-zeitlich verschobener Destruenten- und Konsumentenzunahme. Betrachtet man demzufolge in einem nährstoffreichen Fließgewässer an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt dessen Zönose, so ist zum einem ein hohes Biovolumen gegeben (Vermehrung einzelner Nahrungskettenglieder als energiedissipativer Prozeß, s.o.). Zum anderen liegt gleichzeitig eine geringe Artenvielfalt vor, bedingt durch die Aufhebung der Raumlimitierung (begrenztes Angebot an Nährstoffen oder stofflicher Energieträger) für einzelne Nahrungskettenglieder in den Fließgewässer-ZKSen. Dies äußert sich in der Dominanz nicht nur von einzelnen Trophieebenen, sondern auch von wenigen r-Strategen innerhalb derselben.
Hervorzuheben ist dabei, daß durch die hohe Trennung der Prozesse ein ständiger Wechsel in den Lebensraumbedingungen auftritt. Er beruht auf der Rückwirkung der dominierenden Nahrungskettenglieder auf die örtlichen Standortverhältnisse. Besonders deutlich wird das am Beispiel einer Pflanzenvermehrung als Folge hoher Nährstoffeinträge in die Fließgewässer: Mit Ausbreitung der Wasservegetation steigt der Strömungswiderstand und damit auch die Akkumulation organischer Substanz. Dadurch wirken die Pflanzen nicht nur zunehmend auf die Orte des Stoffabbaus - und demzufolge auch auf die Schwankungen im Sauerstoffgehalt des Wassers - zurück, sondern auch auf den zeitlichen Wechsel der lokalen Substratverhältnisse sowie der Gewässertiefe (Sohlaufhöhung). Auch die Belichtung sinkt mit zunehmender Ausbreitung der Pflanzen infolge Selbstbeschattung. Unter der bereits gegebenen hohen zeitlichen Schwankung in der Wasserführung kommt somit die der Biochemie (Sauerstoffhaushalt), Morphologie (Substratverhältnisse) und der Belichtung hinzu. Besonders ausgeprägt sind die Schwankungen der Standortverhältnisse in strömungsärmeren Gewässerabschnitten oder in kleineren Gerinnen mit stark herabgesetzter Fließgeschwindigkeit. Dort ist unter der hohen Standortvarianz die rasche Abfolge unterschiedlicher Arten begünstigt (Abb. 19). Stets setzt sich dabei die Art durch, die unter den gegebenen Licht-, Temperatur-, Abfluß- und Substratverhältnissen ihren Lebensprozeß (Wachstum, Reproduktion) am besten betreiben kann:
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Abb. 19: Entwicklung der Wasservegetation in einem jährlich im Herbst entkrauteten Entwässerungsgraben (I) einer niederrheinischen Auenlandschaft: Im Frühjahr dominierten in dem nährstoffreichen und nahezu unbeschatteten Gerinne dichte Bestände an Schwimmblattgesellschaften (Hottonia pallustris, Callitriche palustris agg., Ranunculus aquatilis) gleichzeitig entwickelten sich Hydrocharis morsus ranae und Lemna minor auf der Wasseroberfläche (II). Ab Juli breiteten sich vom Ufer her Phragmitetalia-Arten aus, so daß im August kaum noch freie und unbeschattete Wasserfläche vorlag (III). Nach erfolgter Räumung der Gewässersohle im Herbst 1992 wurde im Untersuchungszeitraum zwischen Mai 1993 und Februar 1994 eine Tiefenspannweite von 48 - 104 cm gemessen (Diederich A., Neumann D., Borcherding J., 1995).
Bei geringer raum-zeitlicher Vernetzung der Organismen einer Fließgewässer-ZKS ergibt sich somit innerhalb des Jahresverlaufs ein hoher Durchsatz an vorwiegend kurzlebigen Arten. Er beruht auf der hohen zeitlichen Diversität der Wasserführung, Biochemie, Morphologie und Belichtung. Diese sequentielle Abfolge verschiedener Arten ist charakteristisch für die hohe raum-zeitliche Trennung von Produktion und Akkumulation im Gerinne und demzufolge auch für hohe (Nähr-) Stoffverluste mit dem Wasserfluß.
B.4.2.3. Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässer-ZKS bei optimalem Wirkungsgrad der Einzugsgebietsstrukturen
Mit sinkendem Stoffeintrag steigt die Rückkopplung innerhalb der Fließgewässer-ZKS: In dem zunehmend beschatteten Gerinne werden insbesondere auf Ebene der Heterotrophen Prozesse von Stoffab- und -aufbau durch raschere und kleinräumigere Nahrungszyklen parallelisiert. Ergebnis dieser Selbststrukturierung ist eine maximierte Gewässerproduktivität unter weitgehendem Nährstoffrückhalt im Gerinne. Auch minimierte Schwankungen im Sauerstoffgehalt des Wassers sind gegeben. Eine hoch strukturierte und in ihrer Zusammensetzung im Jahresverlauf stabilere Zönose spiegelt die verlustarme Energiedissipation im Fließgewässer wider.
Stofftransporte bei der Energiedissipation in der Fließgewässer-ZKS
Bei hohem Wirkungsgrad der ZKSen im Einzugsgebiet sind Stoffeinträge in die Fließgewässer minimiert, durch geringe Abflußschwankungen weitgehend stabile Oberflächen dagegen maximiert (Kap. B.4.1.3). Mit dem dadurch bedingten Anstieg kleinräumigerer Gradienten in der Fließgeschwindigkeit des Wassers kommt es zu einer Verlagerung der gelösten und feinpartikulären organischen Substanz aus der fließenden Welle an die festen Phasengrenzflächen. Auf diese Weise wirkt das Wasser räumlich strukturierend auf den Stoffabbau und damit auf den Nahrungskettenaufbau. Die Trennung zwischen Produktion und Respiration wird dabei herabgesetzt:- Die ausgeprägte Änderung der Fließgeschwindigkeit entlang stabiler Oberflächen geht mit einem Dissoziationsgradienten in der Wassersäule einher. Meßbar ist er als pH-Abfall in Richtung der festen Grenzfläche. Die dort erhöhte Ladung begünstigt die Ausflockung16 organischer Kolloide. Diese unterliegen infolge ihres dadurch erhöhten Gewichtes einer beschleunigten Ablagerung entlang dem Fließgeschwindigkeitsgradienten fester Oberflächen.
- Die an der festen Grenzfläche akkumulierte organische Substanz bildet eine adsorptive Schicht. Auf ihr werden entsprechend der vorhandenen Konzentration organischer Energieträger einerseits sowie den pH-Gradienten andererseits Aufwuchsbakterien selektiert. Deren Stoffwechselprodukte (meist in Form einer Polysaccharid-Matrix) besitzen ebenfalls eine adsorptive Wirkung. Dadurch werden nicht nur vermehrt weitere organische Stoffe gebunden, sondern auch Wasserpflanzensporen. Durch Selektion entsprechend den Strömungs-, Belichtungs- und Substratverhältnissen entwickeln sich auf den Oberflächen pflanzliche Aufwuchsorganismen in Form eines "biologischen Rasens". Dieser verringert den Dissoziationsgradienten des Wassers entlang der Grenzfläche.
In den belichteten Gewässerzonen erhöht der gegenüber Makrophyten größere Stoffumsatz des "biologischen Rasens" die Gewässerproduktivität. Dadurch steigt, zusammen mit der Fixierung der Produzenten an weitgehend stabilen Oberflächen, der Stoffrückhalt im Fließgewässer. Optimiert wird die Produktivität des Pflanzenaufwuchses durch die Aufrechterhaltung beständiger Zuwachsphasen (mechanischer Abrieb, Beweidung durch heterotrophe Organismen).
In beschatteten Gewässerabschnitten sind hohe Stoffumsätze nur auf Ebene der Heterotrophen möglich (hohe Sekundärproduktion). Dabei sind insbesondere die Destruenten von Bedeutung. Sie besitzen die kürzesten Generationszyklen unter den Heterotrophen und können daher das Angebot stofflicher Energieträger am effizientesten durch Wachstum und Vermehrung nutzen. Maximiert wird ihre Aktivität durch die Bewirtschaftung von bakterien- und detritusfressenden Organismen. Bei begrenztem Eintrag energiereicher Substanz in die Fließgewässer hält die kurzgeschlossene heterotrophe Nahrungskette zwischen Destruenten und bakterien- und detritusfressenden Konsumenten Respirationsverluste mit der fließenden Welle gering.
Der Rückgang planktischer, der Abdrift ausgesetzter Organismen zugunsten von Aufwuchsformen einerseits sowie die Zunahme kurzgeschlossener Stoffzyklen infolge einer steigenden Vergesellschaftung von Organismen andererseits gehen mit einer zunehmenden Parallelisierung von Stoffauf- und -abbau im Gerinne einher. Dadurch werden zum einem die gewässereigenen und aus dem Einzugsgebiet zugeführten Energieträger optimal an Ort und Stelle genutzt. Die so bewirkte weitgehende Trennung zwischen Stoff- und Wasserfluß ist zum einem als geringe Nährstoffkonzentration in der fließenden Welle meßbar. Zum anderen geht die Parallelisierung der Prozesse, welche zunehmend aus der fließenden Welle an den Grenzflächenbereich zwischen Wasser und Substrat verlagert werden, mit einer geringeren Schwankung im Sauerstoffgehalt einher.
Raum-zeitliche Vernetzung der Fließgewässer-ZKS
Geringere Schwankungen im Sauerstoffgehalt, bedingt durch eine Minimierung der (Respirations-) Verluste bzw. des unvollständigen Abbaus energiereicher Substanz, führen zu einer stabileren Zönose im Jahresverlauf.
Gleichzeitig begünstigen die kleinräumigeren Fließgeschwindigkeitsgradienten, welche mit einer dichteren Abfolge unterschiedlicher Substratzusammensetzungen und Gewässertiefen einhergehen, eine reicher strukturierte Zönose (Abb. 20).
Abb. 20: Die Organismenvielfalt in Abhängigkeit kleinräumiger Gradienten; in der Fließgeschwindigkeit und der Substratzusammensetzung.
Ihre hohe Strukturierung ergibt sich außerdem durch die ausgeprägte raum-zeitliche Organismenvergesellschaftung, sichtbar in der Ausbildung von Aufwuchsstrukturen (Kap. B.4.2.3). Der hohe Vergesellschaftungsgrad ist eine notwendige Voraussetzung für die maximale Lebensdauer einer Fließgewässer-ZKS bei jahreszeitlich stark strukturiertem (gepulstem) und dadurch limitiertem Angebot stofflicher Energieträger sowie Nährstoffen. Betrachtet man demnach in nährstoffarmen Gewässern an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt dessen Zönosen, so ist stets gegenüber denen eines nährstoffreichen Gerinnes eine erhöhte Artenvielfalt gegeben. Gleichzeitig ist aber auch durch den raschen Stoffumsatz innerhalb der Nahrungskette das zu einem bestimmten Zeitpunkt ermittelbare Biovolumen stets geringer als im nährstoffreichem Gewässer.
Zusammenfassend betrachtet entwickeln sich somit rückgekoppelt an den Energiepuls aus der Wechselwirkung zwischen Sonne und Erde sowie an das daran gebundene jahreszeitliche Muster stofflicher Energieeinträge in die Fließgewässer dort "räumliche Strukturen" in Form der dissipativ wirkenden Fließgewässer-ZKS. Geht deren Dynamik mit nur geringen Veränderungen der Biochemie, den Substratverhältnissen und der Belichtung einher, ist eine verlustarme Energiedissipation gegeben. Im raum-zeitlichen Zusammenwirken der ZKSen im gesamten Fließgewässer sind dann irreversible Nährstoffverluste in Richtung der globalen Senke Meer minimiert, die Nachhaltigkeit (Dauerhaftigkeit) zönotischer Strukturen ist entsprechend maximiert.
B.4.2.4. Grundlagen einer funktionalen Strukturanalyse
Funktional charakterisiert wurde die raum-zeitliche Selbststrukturierung der Fließgewässer-ZKS als energieflußdichteabsenkender Prozeß bzw. - durch die dabei minimierten Verluste gelöster und feinpartikulärer organischer Stoffe - auch als Entwicklung in Richtung maximaler Nachhaltigkeit. Innerhalb dieser Selbststrukturierung spiegeln der Strukturierungsgrad der Fließgewässerzönosen sowie die Schwankung des Sauerstoffgehaltes die Phasenlage, d.h. den Grad der Energieflußdichteabsenkung deutlich wider:
- Hohe Schwankungen im Sauerstoffgehalt des Wassers sind Zeichen hoher Respirationsverluste, d.h. eines unvollständigen Umsatzes organischer Substanz. Die Energieflußdichteabsenkung und damit der Wirkungsgrad der Fließgewässer-ZKS ist nur gering. Sichtbar in deren Strukturierung wird dies durch die nur geringe Vielfalt (geringer raum-zeitlicher Vergesellschaftungsgrad der Organismen) sowie durch die hohe Strukturdynamik (hoher Artendurchsatz im Jahresverlauf).
- Geringe Schwankungen im Sauerstoffgehalt um einen hohen Mittelwert sind Zeichen eines nahezu vollständigen Stoffumsatzes. Bei dem hohen Transportvermögen des Wassers im Gerinne ist dies nur durch die rasche, kleinräumige Kreislaufführung der Stoffe an der Phasengrenzfläche Wasser-Substrat möglich und daher nur in einer Aufwuchs-ZKS gegeben. Respirationsverluste sind in dieser minimiert. Der hohe Wirkungsgrad der ZKS wird sowohl in der hohen Organismenvielfalt (hohe raum-zeitliche Organismenvergesellschaftung) als auch durch die hohe Stabilität in der Zusammensetzung wahrnehmbar.
Hervorzuheben ist der nur geringe Regelungsbereich der Fließgewässer-ZKS bei der Aufrechterhaltung eines verlustarmen Wirkungsgefüges. Zugrunde liegt dem nicht nur die begrenzt besiedelbare Oberfläche, sondern auch das hohe Transportvermögen des Wassers im Gerinne. Die dadurch gegebene relative Konzentrationserhöhung der im Wasser gelösten Stoffe kann schon bei einem geringen Eintragsanstieg zur Aufhebung der Raumlimitierung (Nährstofflimitierung) für die Produzenten führen. Auch Abflußspitzen, die in ihrer Frequenz die Selbstorganisation der Fließgewässer-ZKSen in Richtung einer verlustarmen Funktionsweise verhindern, tragen zur Wirkungsgradabsenkung dieser Strukturen bei. Daß bei den heute hohen Einträgen an Hauptnähr- und Basenstoffen in die Fließgewässer die dortigen Zönosen eine nur untergeordnete Bedeutung für deren Rückhalt besitzen, zeigen Messungen an Makrophyten im Einzugsgebiet der Stör (Abb. 62, Kap. F.5.1). Eine größere Rolle bei der Stoffestlegung besitzen sie durch die biogene Kalkausfällung: Mit der Kohlendioxidaufnahme bei der Produktion senkt die Vegetation den Kohlendioxidpartialdruck des Wassers und beschleunigt dadurch die Ausfällung von Kalk sowie von anderen gelösten Stoffen (Kap. E.2).
B.5. Leitbildanforderungen für natürliche Systeme
B.5.1. Leitbildanforderungen zur Senkung der Stoffverluste in die Fließgewässer
Die irreversiblen Austräge pflanzennotwendiger Basen vom Land ins Meer gefährden die dauerhafte Nutzbarkeit der Landschaft durch den Menschen und dadurch die Stabilität der Gesellschaft. Oberstes Ziel bei der nachhaltigen Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen (§§1, 2 BNatSchG, §2 ROG) muß demnach sein, die irreversiblen Stoffausträge der Nutzung der Landschaft weitgehendst zu verringern. Eine Bewirtschaftung ist danach nur dann als nachhaltig zu bezeichnen, wenn die Stoffverluste minimiert sind.
Dieses Ziel kann als funktional definiertes Leitbild verstanden werden. Es erfordert eine Orientierung am natürlichen Selbstoptimierungsprozeß, d.h. ein Verständnis von der "funktionierenden Landschaft". Nur so kann bei der Flächenbewirtschaftung der irreversible Stoffaustrag minimiert und damit die Zeitspanne der Tragfähigkeit der Landschaft für die Gesellschaft maximiert werden.
Nachhaltigkeit als Leitbild erfordert, daß bei der Flächenbewirtschaftung die raum-zeitlichen Veränderungen im Wasser- und Stoffhaushalt und damit der landschaftliche Wirkungsgrad im Vordergrund stehen. Dies kann nur auf Grundlage einer raum-zeitlichen Planung erfolgen:
Sie muß zum einem die Veränderungen der Landschaft über die Zeit hinweg berücksichtigen. Die in der Landschaft anzutreffenden Zustände sind also als "Phasenlagen" in einen fortdauernden, vom Wasserhaushalt geprägten landschaftlichen Entwicklungsprozeß einzubinden. Die Planungen dürfen zum anderen nicht an administrativen Grenzen enden. Vielmehr sollten sie einzugsgebietsweise durchgeführt werden, da die Stofftransporte mit dem Wasserfluß (Schichten-, Oberflächenabfluß) gerichtet verlaufen.
Vordergründig zu beachten bei der Planung der Bewirtschaftung ist die unterschiedliche Langlebigkeit der Landschaftsbereiche, die bedingt ist durch die natürlicherweise gegebenen Unterschiede in der Schwankung des Bodenwasserhaushaltes. Beispielsweise verarmen die hochliegenden Einzugsgebietsflächen durch die erhöhte Dynamik im Bodenwasserhaushalt am ehesten an Nähr- und Basenstoffen. Auch müssen bei einer nachhaltigen Landbewirtschaftung die Prozesse so gekoppelt werden, daß die Produktions-Konsumptionsketten wieder geschlossen werden und dadurch die Stabilität der Landschaft steigt.
Diskutiert werden hierzu folgende Maßnahmen (Abb. 21):
-
Kuppenlagen sind besonders von der Stoffauswaschung betroffen. Die Ausbildung vegetationsarmer, sich stark aufheizender "Schadstellen" in der Landschaft kann durch die Entwicklung eines extensiv oder nicht bewirtschafteten Waldes maximal verzögert werden.
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In den Quellbereichen und an den Zusammenflüssen von Gewässern sollten die ursprünglich vorhandenen und heute häufig drainierten Feuchtgebiete (z.B. Niedermoore) wieder vernäßt bzw. auf Grenzertragsböden neu eingerichtet werden. Das Wasser wird dadurch länger in der Landschaft gehalten. Folge sind verringerte Hochwasserereignisse. Gleichzeitig sinken durch die gleichmäßigere Wasserspende im Sommer die Extreme in der Niedrigwasserführung. Unter diesen Randbedingungen können sich in den Fließgewässern durch Selbstoptimierung verlustärmere morphologische und zönotische Strukturen entwickeln.
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Entlang der Gewässer könnten hinreichend große Feuchtgebiete (Röhrichtflächen oder Feuchtwälder) als bewirtschaftete Stoffrückhalteflächen eingerichtet werden. In ihnen wird das aus der Landschaft abfließende Oberflächen- und Schichtenwasser durch Verdunstung gebremst. Dabei wird ein Teil der gelösten Stoffe ausgefällt und von der Vegetation aufgenommen. Die geerntete Biomasse kann als Rohstoff (Silage, Vergärung, Baustoff u.a.) genutzt werden. Werden die darin enthaltenen Basen und Nährstoffe nach der Mineralisierung wieder auf die oberhalb liegenden Flächen zurückgebracht, könnten die Stoffkreisläufe wieder geschlossen werden.
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Nähr- und mineralstoffhaltige organische Abfälle, Klärschlämme und Abwässer sind wieder besser in die Stoffkreisläufe zu integrieren. Der Klärschlamm ländlicher Siedlungen enthält in der Regel kaum bedenkliche Inhaltsstoffe und sollte vermehrt wieder auf Flächen, die nicht zur unmittelbaren Nahrungsmittelproduktion dienen, aufgebracht werden. Biologisch geklärtes Abwasser ist eine nährstoffhaltige Ressource, mit der bewirtschaftete Schilfpolder extensiv beschickt oder in Teichen Futter für die Fischzucht produziert werden könnte.
- Die Giftwirkung, die von kontaminierten Standorten ausgeht, wird nicht anhand einer Betrachtung der Schadstoffe und ihrer Konzentration beurteilt. Vielmehr erfolgt eine Risikoeinschätzung bezüglich der Verlagerung der Schadstoffe sowie ihrer zeit-räumlichen Verteilung bei der Aufnahme in die Nahrungskette. Unter diesem Aspekt kann eine subhydrische Deponie, deren Schichtenwasser ein geringes Potential zur umgebenden Landschaft aufweist und demnach eine geologische Barriere ausbildet, als weitgehend unschädlich eingestuft werden. Durch Einbringen eines Förderbrunnens in den Deponiekörper kann das Stoffverlagerungspotential kontrolliert werden. Die mit dem Wasserfluß aus der Deponie geförderten Schadstoffe können jederzeit technisch oder biologisch aufgearbeitet werden.
Abb. 21: Modell für die nachhaltige Restrukturierung des Einzugsgebietes.
Besitzt die über den landschaftlichen Wirkungsgrad definierte Nachhaltigkeit oberste Priorität jeglicher Planung, so ist auch gleichzeitig ein dauerhafter Klima-, Boden-, Wasser- sowie Artenschutz gewährleistet:
Nur in einer nachhaltig funktionierenden Landschaft mit maximierten kleinräumigen Wasserzyklen ist zum einem im Sommer eine ausreichende Wasserspende mit einer guten Qualität hinsichtlich der Gehalte an Nähr- und Mineralstoffen gegeben. Zum anderen sind insbesondere während der Vegetationsperiode Schwankungen der täglichen Temperaturamplitude, aber auch in der Niederschlagsverteilung minimiert. Das Klima ist somit stabilisiert (Kap. B.3).
Weiterhin wird auch nur in einer nachhaltig funktionierenden Landschaft die Tragfähigkeit des Bodens für die Gesellschaft langfristig erhalten: Maximierte Bruttoprimärproduktivität und minimierte Nettoproduktivität, betrachtet als Protonenumsatz (-flußdichte), verhindern weitgehend Prozesse der Basenauswaschung. Die unerwünschte Anreicherung des Oberbodens mit schwerer löslichen Schadstoffen (Kap. F.1.1.6) sowie Prozesse der Bodenversauerung werden dadurch vermieden, ebenso die Belastung der Fließgewässer durch hohe Stoffeinträge mit dem Flächenabfluß.
Auch den Ansprüchen des Naturschutzes kann erst eine nachhaltig funktionierende Landschaft gerecht werden. Denn nur unter der Randbedingung einer maximal gesenkten Energieflußdichte besitzen die vorzufindenden Organismenvergesellschaftungen auch eine hohe Stabilität (Kap. B.4.2.3). Ein aktiver Arten- und Biotopschutz, der außerdem bislang dem Artensterben kaum entgegenwirken konnte und deshalb von seinem Ansatz her in Frage zu stellen ist, ist dann nicht mehr erforderlich.
B.5.2. Leitbildanforderungen zur Minimierung der Stoffverluste in Fließgewässern
Fließgewässer tragen zur Nachhaltigkeitssteigerung des gesamten Einzugsgebietes bei, indem sie durch Selbststrukturierung den Stofffluß maximal gegenüber der Wasserbewegung verlangsamen (Prozeß der Energieflußdichteabsenkung, Kap. B.4). Dabei ist nur in einem nachhaltig funktionierenden Gerinne auch eine hohe Strukturgüte im Sinne einer hohen morphologischen Vielfalt und Stabilität gegeben (Kap. B.4.1.4). Voraussetzung für die heute im Rahmen des Fließgewässerschutzes geforderte Steigerung der Strukturgüte bildet daher eine prozeßorientierte, d.h. funktionale Leitzielformulierung:
Oberstes Leitziel zur Steigerung der Strukturgüte eines Fließgewässers muß dessen nachhaltige Funktionsweise sein. Andere in der Literatur definierten Leitziele, wie z.B. "Naturnähe" durch hohe Strukturvielfalt und -stabilität oder "natürliche Landschaftsbereicherung" (Kern 1994, Lawa Rheinland-Pfalz 1994, unv.) sind die wahrnehmbaren Ergebnisse eines verlustarm funktionierenden Gerinnes und daher dem beschriebenen Oberziel nachzuordnen. Ebenso verhält es sich mit der Forderung nach dem "Hochwasserrückhaltevermögen" (LAWA Rheinland-Pfalz 1994, unv.): Bei einer nachhaltigen Funktionsweise liegt ein maximierter Strömungswiderstand im Fließgewässer vor (Kap. B.4.1). In dem dafür typischen breiten und flachen Profil wird schon bei geringem Abflußanstieg ein Uferübertritt des Wassers begünstigt, der Hochwasserrückhalt in der Gewässeraue somit optimiert.
Auf Grundlage dieses funktionalen Leitbildes lassen sich die Maßnahmen zur Verbesserung der Strukturgüte in eine sinnvolle Hierarchie bringen:
Oberste Priorität besitzt dabei die Senkung der Stoffeinträge und der Abflußschwankungen. Sie halten im Selbstoptimierungsprozeß des Fließgewässers temporär intensive Materialtransporte und damit eine geringe Strukturvielfalt und -stabilität aufrecht (Kap. B.4.1). Ein sinnvoller Gewässerschutz kann daher nur an Land beginnen, indem dort durch eine Stabilisierung des Wasserhaushaltes der Flächenabfluß in die Fließgewässer möglichst gleichmäßig erfolgt und mit minimierten Transporten fester und gelöster Stoffe einhergeht.
Eine weitere wichtige Voraussetzung zur Strukturverbesserung der Fließgewässer ist deren ungehinderte Dynamik. Jeder Eingriff durch Gewässerunterhaltung und -ausbau behindert den Selbststrukturierungsprozeß und hält dadurch hohe Transporte mit dem Wasserfluß aufrecht. Beispielsweise verhindert die Gewässerbewirtschaftung durch das Unterbinden von Ufererosion (Uferbefestigung, Abb. 22) und durch das permanente Entfernen sedimentierten Materials (Sohlräumung), daß die Gewässer eine der Abflußdynamik entsprechende dissipative Struktur entwickeln können. Vielmehr wird durch derartige Maßnahmen die Entwicklung von Stoffsenken in räumlich nachgeschaltete, mündungsnähere Bereiche verlagert.
Abb. 22: Uferbestigung an der Osterau.
Die derzeitige ökomorphologische Gewässerbewertung und -planung (z.B. LAWA Rheinland-Pfalz 1994, unv., Kern 1994) ist noch weit entfernt von einem funktionalen Betrachtungsansatz. Zwar strebt auch sie, aufbauend auf den Vorgaben von Werth (1987), den Zustand maximaler Stabilität und Selbstregulation der Fließgewässer an, der als hoher ökologischer Gehalt bezeichnet wird. Kennzeichnend für einen "hohen ökologischen Gehalt" der Fließgewässer sind eine "hohe Artenvielfalt bei ausgewogenen Mengenverhältnissen der Organismengruppen" (hohe Diversität), eine "hohe räumliche Heterogenität", ein "eher geschlossener Stoffkreislauf" sowie die "Elastizität gegenüber äußeren Einflüssen" (Werth 1987). Doch wird in diesem morphologischen Leitbild den Gewässerstrukturen vorrangige Bedeutung beigemessen und nicht dem raum-zeitlich zu betrachtenden landschaftlichen Selbstoptimierungsprozeß, aus dem sie hervorgehen. Statt dessen wird der Selbststrukturierungsprozeß des Gewässers isoliert betrachtet und als Entwicklung hin zu einem "dauerhaft dynamischen Gleichgewichtszustand" mit "einer bestimmten typischen Ausprägung des Gewässerbettsystems" beschrieben (LAWA Rheinland-Pfalz 1994:4, unv.). Daß die Eigendynamik der Gewässerstrukturen funktional in den landschaftlichen Entwicklungsprozeß einzuordnen ist, ihre äußere Erscheinung durch dessen Phasenlage geprägt ist, bleibt unberücksichtigt. Statt dessen wird der gewünschte Sollzustand des Gewässerbettsystems ausschließlich strukturell näher charakterisiert. Danach hat "aus morphologischer Sicht (...) das Idealgewässer in unseren Breiten den Charakter und die Strukturen eines Waldbaches, zumindest solange die Ufergehölze die Morphologie beeinflussen (...). Die Entwicklung dieser naturraumspezifischen Waldbachmorphologie setzt folglich die Existenz eines mehrere Baumkronendurchmesser breiten Uferwaldes voraus." (Kern 1994:161).
Folge dieses strukturellen Ansatzes ist auf Umsetzungsebene der Fließgewässersanierung bis heute der vorrangige Schutz von Gewässerbettstrukturen oder von Organismen:
Bezogen auf den Schutz zönotischer Strukturen stellt der Erhalt bzw. die Wiedereinbürgerung von Fischen in die Fließgewässer den Inhalt zahlreicher gewässerökologischer Bemühungen dar. "Fischpsychologisches Wissen" und "technische Möglichkeiten zur Realisierung des Fischaufstiegs" dazu sind vorhanden und werden "in diversen, z.T. spektakulären Anlagen verwirklicht." (Bayer. Lawa 1994:107). Der Erfolg dieser strukturell orientierten Maßnahmen erscheint jedoch bei einer funktionalen Charakterisierung der Strukturen in einer dynamischen, sich selbst organisierenden Fließgewässerentwicklung äußert fragwürdig. In dieser Entwicklung ist eine dauerhaft hoch strukturierte Zönose das wahrnehmbare Ergebnis einer verlustarm funktionierenden Fließgewässer-ZKS und damit eines ungehinderten Selbstoptimierungsprozesses des Gerinnes (Kap. B.4.2). Notwendige Voraussetzung für die Selbstoptimierung der ZKS bildet die Eintragsminimierung abbaufähiger Substanz sowie von Nährstoffen. Weitere wichtige Voraussetzung ist das Vorhandensein kleinräumiger Strömungsgradienten im Gewässer (räumliche Heterogenität) sowie eine geringe Schwankung der chemischen Parameter, insbesondere dabei im Sauerstoffgehalt. Maßnahmen zur Vergleichmäßigung des Hydrographen bei gleichzeitiger Minimierung von Stoffeinträgen in die Fließgewässer sind vor diesem Hintergrund die Voraussetzung für eine hohe Vielfalt und Dauerhaftigkeit der zönotischen Strukturen. Ein aktiver Artenschutz erübrigt sich dann.
Kritisch zu betrachten ist in diesem Zusammenhang auch die derzeit noch häufig praktizierte Fließgewässerrenaturierung. Eine hohe morphologische Vielfalt und Stabilität ist das sichtbare Ergebnis der ungehinderten (dissipativen) Selbststrukturierung des Gerinnes, dabei unter der Randbedingung nur geringer Abflußschwankungen und Stoffeinträge (Kap. B.4.1). Eine Renaturierung des Gewässers durch gewässerbauliche Maßnahmen kann nur punktuell, d.h. bezogen auf begrenzte Teilabschnitte, die morphologische Dynamik dämpfen. Sie besitzt daher bestenfalls einen "kosmetischen Charakter". Einen nennenswerten Beitrag zur dauerhaften Strukturaufwertung des gesamten Fließgerinnes liefert sie jedoch nicht.
Deutlich wird, daß ein sinnvoller Schutz von Fließgewässerstrukturen nur über die "Sanierung des Einzugsgebietes" erfolgen kann. Sein durch die derzeitige Bewirtschaftung destabilisierter Wasserhaushalt geht mit hohen Abflußschwankungen und Stoffeinträgen in die Fließgewässer einher. Dadurch wird im Selbstoptimierungsprozeß der Fließgewässerstrukturen sowohl bezogen auf die Morphologie als auch die Zönosen ein geringer Wirkungsgrad und damit ein Zustand geringer Vielfalt und Stabilität aufrechterhalten. Es ist daher eher die Funktionsfähigkeit der Natur, die geschützt und erhalten werden muß und nicht die als Schutzgüter ausgewiesenen Strukturen.
1Durch Rotation der Erde um die eigene Achse wird die Energie aus ihrer Wechselwirkung mit der Sonne als Energiepuls mit täglicher Frequenz wirksam. Der Puls erfährt durch die Drehung der Erde um die Sonne bei schräggestellter Erdachse zusätzlich eine jahreszeitliche Abwandlung. Wahrnehmbar wird die gepulste Energie als räumliche und zeitliche Temperaturschwankung.
2Die Wärmekapazität des Wassers beträgt 4,2 J/(cm3*°C), die der Luft 1,3*10-3 J/(cm3*°C) und die von Quarz 2,1 J/(cm3*°C).
3Unter den Begriff der Verdunstung sind die Transpiration, die Interzeption (direkte Verdunstung von den Pflanzenoberflächen) und die Evaporation (Verdunstung aus dem Boden) zusammengefaßt.
4Stoffflüsse lassen sich in Protonen- bzw. Ladungsäquivalenten ausdrücken, worüber sich der Wirkungsgrad energiedissipativer Strukturen in folgender Formel beschreiben läßt (Ripl & Hildmann 1995, i.p.):
W = (Mu – Mv)/Mu
mit: W = Wirkungsgrad, Mu = Stoffumsatz insgesamt, Mv = Verluste.
5Der Abflußbeiwert beschreibt den Abflußanteil des Gesamtniederschlages, bezogen auf einen Monats- oder Jahreszeitraum.
6Die Säureeigenschaft des Wassers beruht auf seinem Dissoziationsvermögen (Protonendichte von
10-7mol/l/20°C). Die Dissoziation des Wassers steigt mit seiner Temperatur oder der Beschleunigung seiner Moleküle infolge von Abbremsung an festen Partikeloberflächen. Konstante Temperatur und Fließgeschwindigkeit minimieren die Reaktivität des Wassers; sie erhöht sich entsprechend mit zunehmender Schwankung in Temperatur- und Bodenwasserhaushalt (Ripl & Hildmann 1995, i.p.).
7Zum morphologischen Strukturierungsprozeß des Einzugsgebietes vgl. Kap. B.3.
8Die Abbremsung des Wassers an der festen Grenzfläche führt zur Beschleunigung seiner Moleküle (meßbar als Temperatur-, hauptsächlich aber als Dissoziationsanstieg). Salzkristalle werden dadurch in einen beschleunigten Schwingungszustand versetzt, treten aus dem Gitterverband heraus und gehen in Lösung.
9Eine entsprechende Strukturanalyse am Beispiel von drei Fließgewässern im Einzugsgebiet der Stör ist in Kap. D.2 beschrieben.
10Als Bezugsgröße zur Ermittlung des Strömungswiderstandes kann ein halbkreisförmiges Profil mit gleichem Querschnitt wie der des kartierten Fließgewässers verwendet werden. Ein halbkreisförmiges Profil besitzt den geringsten Umfang im Verhältnis zu seinem Querschnitt und setzt daher dem Wasser den geringsten Widerstand entgegen (vgl. Kap. D.2.2.2).
11Die Chemoautotrophen nutzen reduzierte anorganische Verbindungen (z.B. H2S, NH3/NH4) als Energiequelle zum Aufbau organischer Substanz. Sie stehen damit räumlich und zeitlich in enger Rückkopplung zu den anaeroben Bakterien (z.B. Denitrifikanten, Desulfurikanten), die über ihre Abbauprozesse diese reduzierten Verbindungen zur Verfügung stellen.
12Die Larvenstadien der Fische finden sich meist im Frühjahr im Gewässer. In diesem Zeitraum liegen aufgrund der weitgehend fehlenden Belaubung günstige Belichtungsverhältnisse vor. Optimale Zuwachsphasen des Pflanzenaufwuchses, der Hauptnahrungsquelle der Larven, sind gegeben. In späteren Zeiträumen bewirtschaften die inzwischen ausgewachsenen Sekundärkonsumenten zusätzlich die heterotrophe Ebene.
13Zum Beispiel kam es in einem Wiesenbach (Barnbek) im Stör-Einzugsgebiet aufgrund hoher Lufttemperaturen, wenig Niederschlag und somit geringen Abflusses im Sommer 1992 zu einer üppigen Makrophytenentwicklung. Die mittlere Biomasse betrug 210 gTS/m² Bachbettfläche im Juni und ging aufgrund von Selbstbeschattung auf ca. 50 gTS/m² im Juli/August zurück. Analog zu dieser Entwicklung stieg die mittlere Biomasse der Aufwuchsalgen auf den Makrophyten von 1 gTS/m² Bachbettfläche im Juni auf ca. 100 gTS/m² im August an.
14Anaerobe Verhältnisse auch innerhalb der Freiwasserzone wurden z.B. in einem Abschnitt der Alten Schwentine (bei Kiel) nachgewiesen. Zwischen den dort dominierenden Elodea-Beständen mit schlammig-sandigem und laubreichem Substrat kam es zur Faulgasentwicklung (Pöpperl 1991).
15Zur Erfassung der Varianz dieses Parameters sind Meßintervalle erforderlich, welche die Geschwindigkeit der Prozeßabläufe im Tagesverlauf berücksichtigen. Einzelne Messungen mit Mittelwertsbildung auf Tages- und Monatsbasis besitzen einen hohen Zufallsanteil und sind somit in ihrer Aussagekraft stark eingeschränkt.
16Organische Kolloide besitzen elektrische Ladungen aufgrund von COOH-, NH2-, NH-, N- und phenolischen OH-Gruppen. Mit der dadurch begünstigten Anlagerung der bipolaren Wassermoleküle entsteht eine Hydrathülle, die die Anziehungskräfte der Kolloide untereinander herabsetzt. Im Grenzbereich zu festen Oberflächen liegen durch die hohe Dissoziation des Wassers gegensätzliche Ladungsträger vor, welche die elektrische Ladung der organischen Kolloide bis hin zum Nullpunkt verringert (isoelektrischer Punkt). Das Hydradationsausmaß der Kolloide sinkt, ihre gegenseitige Anziehungskraft steigt. Die dadurch begünstigte Koagulation der Kolloide zu voluminöseren Partikeln geht mit deren "Niederschlag" einher.