Das Konzept der Nachhaltigkeit (sustainable development) ist weltweit zu einem Schlüsselbegriff der Umweltpolitik der 90er Jahre geworden, nachdem die "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" unter der Leitung von G.H. Brundtland ihren Bericht vorlegte (WCED 1987, deutsche Fassung Hauff 1987) und seitdem Klärungsbedarf und forschungspraktische Konsequenzen auslöste (Fritz et al. 1995).
Für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung ist die physische Basis der menschlichen Gesellschaft, also insbesondere die Flächenbewirtschaftung von grundlegender Bedeutung. Für die nachhaltige Bewirtschaftung scheinen folgende Aspekte wesentlich (Ripl 1999, 2001):
- eine funktionale Betrachtungsweise, d.h. eine vom Wasser- und Stoffhaushalt der gesamten Fläche her gesehene Betrachtung der Landschaft und der Natur,
- zentrale Flächenfunktionen der Natur: Retention des Wassers (Hochwasserschutz), Temperaturausgleichsfunktion und Stoffrückhaltefunktion,
- Entwicklung modularer Maßnahmen, die durch intelligente Kopplung den stofflichen und den thermischen Wirkungsgrad der Landschaft und der menschlichen Bewirtschaftung steigern,
- die übergreifende Einsicht, daß zur Erzielung von Nachhaltigkeit nur eine Kopplung von Land-, Forst,- Wasserwirtschaft, Naturschutz und Planung auf der Fläche durch den Flächenbewirtschafter erfolgen kann,
- nachhaltige Entwicklung als lokaler Planungs- und Agendaprozess,
- mittelfristig kann Nachhaltigkeit nur durch eine Kostenwahrheit für Transporte und die letztendliche Ressource, den Bodenwert, ökonomisch umgesetzt werden.
Ansätze zu einer mehr funktionalen Betrachtungsweise der Natur zeigen sich in der neueren Forschung z.B. in der "Land Use and Cover Change (LUCC)" -Forschung (Turner II et al. 1995, Fresco et al. 1997). Nach wie vor wird allerdings die zentrale Rolle des Wasserhaushaltes und der Vegetation als "Betriebssystem" der Landschaftsprozesse vernachlässigt. Die natürliche Funktionalität wird vom dissipativen Wasserkreislauf in Wechselwirkung mit der Verteilung der Vegetation auf der Fläche gesteuert (Ripl 1995, Folke & Falkenmark 1998, Falkenmark et al. 1999), wobei die Vegetation zusammen mit dem Oberboden zu betrachten ist. Er bildet eine funktionelle Schnittstelle zwischen dem geologischen Untergrund und der Vegetation. Verluste gelöster Stoffe werden in erster Linie durch die biologische Aktivität an der Oberfläche verursacht (Schnoor & Stumm 1985). Die Dissipativität der einzelnen Teilsysteme als Leitparameter für die Systembewertung findet sich auch bei Luvall & Holbo (1991) und Schneider & Kay (1994).
Bei der Entwicklung der Ökosysteme zu reifen (Wald-) Ökosystemen wird die Rolle der Vegetation, des Detritus (tote organische Substanz) und der Schnittstelle Boden - Pflanze hervorgehoben. Bei der Reifung des Ökosystems wird eine immer weitergehende Regulation der Prozesse und des Wasserhaushaltes durch die Pflanzen und die restliche Biozönose erreicht. Auch die Temperatur des Oberbodens spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der Prozesse (Odum 1969, Bormann & Likens 1979). Allerdings ermöglichen erst die integrative Betrachtung der Prozeßkopplung über das Wasser und die damit verbundenen Temperatureffekte ein umfassendes Verständnis der Funktionalität und Degradation von Atmosphäre, Biosphäre, Pedosphäre und Hydrosphäre, das in direktem Bezug zur Nachhaltigkeit steht (Ripl et al. 1996, Hildmann 1999, Ripl & Wolter 2002).
Temperaturbeobachtungen mit räumlich hoher Auflösung durch Satellitenbildauswertung kombiniert mit Temperaturbeobachtungen mit zeitlich hoher Auflösung mittels gezielt in variierenden Beständen und bodennah installierter Temperatursonden sind bereits mehrfach für die Landschaftsanalyse eingesetzt worden (Ripl et al. 1996, Hildmann 1999). Auch im Rothwald (einem Urwald in Österreich) haben sie sich als ein hervorragend geeignetes Instrument zur Erfassung der energiedissipativen Prozesse in der Landschaft erwiesen (Ripl 2000).
Die räumliche und zeitliche Verteilung der Verdunstung und Taubildung, des Abflusses und der Versickerung wird neben den geomorphologischen Gegebenheiten vor allem von der Vegetationsverteilung gestaltet. Geschlossene Vegetationsdecken mit streu- und humusreichen Böden zeichnen sich durch temperaturvergleichmäßigende kurzgeschlossene Verdunstungs-Taubildungszyklen, abflußausgleichende Wasserhaltekapazität mit geringerer Versickerungs- und höherer Oberflächenabflußwahrscheinlichkeit aus. Damit verbunden sind ortsfeste Stoffkreislaufzyklen mit geringer Stoffaustragswahrscheinlichkeit.
Die Fähigkeit des Bodens, wie ein Schwamm zu wirken, und damit die Hochwasserwahrscheinlichkeit zu minimieren sowie in Trockenperioden Wasser vorzuhalten, wurde weltweit in den Wassereinzugsgebieten durch wasserwirtschaftliche Eingriffe, großflächige Entwaldung etc. stark herabgesetzt. Bodenabschwemmungen und Verschlammung der Gewässer sind die Folge (Clarke 1993, Bormann & Likens 1979). Stoffflüsse aus der Landschaft in die Gewässer in Form von stark erhöhten gelösten Nähr- und Mineralstoffen sind eine deutliche Indikation für gestörte Landschaftsfunktionen und vor allem an das Abflußverhalten der Landschaft gebunden. Die gezielte Entwässerung der Landschaft und Schaffung wechselfeuchter Böden zur Steigerung der Nettoproduktivität hat im letzten Jahrhundert zu einer bis zu hundertfachen Steigerung der Mineral- und Nährstoffverluste im Boden geführt, die in gelöster Form mit den Flüssen in die Meere transportiert werden (Ripl et al. 1996). Entscheidend dafür ist neben morphologischen Gegebenheiten und den wasserwirtschaftlichen Entwässerungsmaßnahmen der letzten 150 Jahre die Verteilung von gekühlten mit perenner Vegetation ausgestatteten Flächen im Verhältnis zu Staub und Gas emittierenden ungekühlten Flächen in der Landschaft.
Sämtliche Naturfunktionen sind Flächenfunktionen und müssen dort vorgehalten werden (Ripl et al. 1996, Heydemann 1997). Die Fähigkeit der Natur, vielfältige Serviceleistungen für die Gesellschaft zu erbringen, kann nur auf der Fläche wiederhergestellt bzw. gesichert werden. Insofern sind auf Personen bezogene Nachhaltigkeitsmaße, wie "ecological footprint" (Daly & Goodland 1993, Rees & Wackernagel 1994, Schmidt-Bleek 1992, Wackernagel 1994, Wackernagel & Rees 1995) nicht richtungssicher. Auch die Schlußfolgerungen von Weizsäcker et al. (1995) bauen weitgehend auf personenbezogene Bewertungsmaßstäbe auf. Eine systemare dynamische Betrachtung zeigt jedoch, daß ein flächenbezogener Ansatz die Effizienz noch stärker in den Vordergrund rückt und die Suffizienz relativieren kann. Als flächenbezogenes Nachhaltigkeitsmaß kann der landschaftliche Wirkungsgrad (stofflicher und thermischer Wirkungsgrad (Ripl et al. 1996) angewendet werden. Während der Suffizienzansatz noch in stärkerem Maß vom Stoffverbrauch und seiner drastischen Senkung ausgeht, ist der Effizienzansatz von den Recyclingmöglichkeiten bei lokal kurzgeschlossenen, möglicherweise sogar erhöhten Umsätzen geprägt (vgl. auch Huber 1995).
Ansätze zur Umsetzung regionaler nachhaltiger Flächenbewirtschaftung sind vielfach angedacht worden, aber zum Teil nicht hinreichend erprobt. Geeignete Maßnahmen mit höherer Stoffkreislaufführung müssen einerseits orts- und zeitangepaßt, andererseits in ihrer Prozesskopplung optimiert werden. Die Steigerung der Nachhaltigkeit ist vor allem durch bessere Prozesskopplung, d.h. modulare in ihren Schnittstellen definierte Maßnahmenpakete zu erreichen. Beispiele für nachhaltigkeitssteigernde Module können z.B. die Agroforstwirtschaft (Nair 1993, Herzog 1997), das Dike-Pond-Konzept (Korn 1996), "raised fields", Feuchtgebiete (Wittgren 1995, Nilsson 1996, Succow & Jeschke 1990), die Aquakultur sowie Fischzuchtanlagen (Lin 1991, Pokorny & Pechar 1996) sein.
Die besten Entwicklungschancen für einen Übergang zu kurzgeschlossenen Stoffflüssen, die wirtschaftlich umsetzbar sind, sind derzeit in den ländlichen Regionen gegeben. Das Dorf der Zukunft wird auf der Basis einer kreislauforientierten Bewirtschaftung nicht allein Produktionsraum, sondern wiederbelebter Lebensraum mit neuen sozialen Bezügen und Strukturen (Nahrada 1998). Auf der Basis intakter Naturfunktionen ist auch wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit gestaltbar.
Besondere Bedeutung für die zukünftige nachhaltige Entwicklung hat der Übergang von fossilen und nuklearen Energieträgern zur solaren Energiewirtschaft, der gleichzeitig mit einer Dezentralisierung verbunden ist (Scheer 2000). Im Gegensatz zu früheren Jahren ist eine Umsetzung von Konzepte mit regenerativen Energieträgern heute vielfach technisch - und teilweise wirtschaftlich - möglich (Heinloth 1997).
Für eine zukünftige nachhaltige Entwicklung müssen auch gesellschaftliche Potentiale müssen geschaffen werden, so daß sich Kreislaufwirtschaft lohnt und langlebigere Produkte durch mehr Handwerk und Reparaturbetrieb wahrscheinlicher werden (Deutscher Bundestag 1997).
Wissenschaft und Planung sind aufgefordert, Wege aufzuzeigen, wie eine nachhaltige Entwicklung politisch und ohne soziale Destabilisierung vorangetrieben werden kann.